1/3 ist ohnmächtig

23.04.2018: Studientag "Gewalt gegen Frauen in Papua-Neuguinea", Neuendettelsau

1/3 sind ohnmächtig Frauenstudientag „Gewalt gegen Frauen“ bei Mission EineWelt

Die planken Zahlen sind nicht schön zu hören: 1/3 aller Frauen weltweit leiden unter Gewalt. ¼ aller Frauen in Deutschland erleben Gewalt in der Partnerschaft. 50% der Kinder in solchen Partnerschaften sehen die Gewaltsituationen mit eigenen Augen. Das sind die Fakten aus Deutschland. In Papua-Neuguinea gibt es noch mehr erschreckende Zahlen: 67% aller Frauen erleiden Gewalt in der Ehe. 20% der Frauen erleben als ersten sexuellen Kontakt eine Vergewaltigung. Gewalt gegen Frauen ist leider immer noch und überall ein Thema, über das viele Menschen weltweit aufklären und dagegen vorgehen wollen. Dies war auch der Tenor des Studientages „Gewalt gegen Frauen“, veranstaltet von Mission EineWelt in Kooperation mit der Pazifik-Infostelle am 21. April in Neuendettelsau, den rund 25 Teilnehmenden besuchten. Vor den Gewalttaten die Augen schließen hilft nichts – darüber sprechen und dann handeln kann Menschen in Gewaltsituationen helfen. Das dies bereits geschieht, hat Ulrike Hansen, Pfarrerin bei Mission EineWelt, in ihrer Einführung aufgezeigt: Seit Ende der 1990er Jahre gibt es die Dekade zur Überwindung von Gewalt, die dabei geholfen hat, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen und damit Opfern von Gewalt eine Plattform sowie Möglichkeiten der Unterstützung und Hilfe. Der Vortrag „Gewalt gegen Frauen: Auch ein deutsches Problem?“ hat deutlich aufgezeigt, dass Gewalt meist ganz klein und harmlos beginnt. Zuerst eine Beleidigung, dann ein kleiner Schubs, bis es in Prügeln enden kann. Die physische Gewalt kann man in Verletzungen äußerlich meist sehr gut erkennen – dass aber auch psychische Gewalt wie Einschüchterungen oder Verbote, soziale Gewalt wie Überwachungen oder Isolation, ökonomische Gewalt wie Kontosperrungen oder Zwangsarbeit und auch sexualisierte Gewalt wie Demütigungen oder Pornozwang zu dauerhaften Verletzungen für Leib und Seele führen können, ist oft nicht bekannt. „Es ist nicht die Frage, ob man mit Gewalt konfrontiert wird – sondern wie man damit umgeht“, so die Leiterin des Frauenhauses in Schwabach.

Genau dieser Aussage stellte sich auch Hofagao Kaia-Hauth, Theologin, als sie in ihrem lebendigen und persönlichen Vortrag über Gewaltsituationen in ihrem Heimatland Papua-Neuguinea berichtet. Sie zeigte auf, wie kulturelle Gegebenheiten oft auch missverstanden werden können: Eine Frau trägt ein schweres Bilum (Netztasche) mit Stolz, weil sie damit zeigen kann, dass sie ihre Familie versorgen kann. In „westlichen“ Augen erscheint es vielleicht seltsam, in den Augen der Menschen im Dorf der Frau in PNG ist es das Selbstverständlichste der Welt. Dass Gewalt, vor allem im häuslichen Umfeld in PNG, stattfindet, ist allen klar. Die Sichtweise darauf kann sehr unterschiedlich sein. Vor allem jüngere Menschen wehren sich gegen Gewalt, aber dies braucht Zeit.

Dass die Zeit viel ändert und sich in der Zeit viel entwickelt, wurde auch im Vortrag von Marion Struck-Garbe, Ethnologin und Mitarbeiterin bei Greenpeace, deutlich. Sie zeigte anhand von Studien und Forschungen auf, dass es in PNG in früheren Zeiten möglich war, als Frau alleine von einem Ort zum anderen zu gehen, immer im Bewusstsein, dass die Familie sie schützt. Mit dem Aufbrechen traditioneller Strukturen hat sich dies gewandelt und so ist es für eine Frau heute oft nicht mehr denkbar, alleine einen Weg entlang zu gehen, ohne Angst vor Gewalt zu haben. Die traditionellen Lebensweisen sind nicht mehr intakt und damit ist Raum für Gewalt entstanden. Dies beginnt schon bei struktureller Gewalt, wie Bildungsmöglichkeiten für Mädchen (die oft kaum vorhanden sind), Gesundheit (hohe Müttersterblichkeit z.B.), Brautpreis (früher als Wertschätzung gehandhabt ist er heute oft zu einem „Kaufpreis“ degeneriert), Polygamie (hohe Eifersucht führt zu Gewalttaten) oder auch Dorfgerichte (die meist männlich dominiert sind). Die sichtbarste Form von Gewalt ist die physische: Zwischen den Jahren 2009 und 2015 hat „Ärzte ohne Grenzen“ 28 000 Opfer von Gewalttaten behandelt. 56% der Opfer von sexueller Gewalt sind Kinder, teilweise sogar jünger als 6 Jahre. 76% der Opfer kennen ihre Angreifer persönlich. Viele Mädchen wachsen im Bewusstsein auf, dass ihnen im Laufe ihres Lebens mindestens einmal Gewalt wiederfahren wird – die Sozialisation hat sich gen geänderten Gegebenheiten angepasst. Doch die Lage ist nicht hoffnungslos: Viele Menschen arbeiten tagtäglich dafür, dass Gewalt gegen Frauen (und Kinder und auch Männer) abnimmt. So gibt es z.B. die Convention on the Elimaniation of all forms of discrimination against women von 1995, die 2013 neu aufgesetzt und damit nochmal bestärkt wurde. In vielen Polizeistationen gibt es sogenannte Family units, die speziell für den Schutz von Gewaltopfern zuständig sind. Kirchen haben Programme erstellt, die sowohl in Aufklärungsarbeit, Workshops und konkreten Hilfsmaßnahmen umgesetzt werden. Zahlreiche NGOs haben sich gegründet, um den Frauen aus schwierigen Situationen zu helfen und ihnen Auswege aufzuzeigen.

Davon berichtet auch Kristina Steiner, Fotojournalistin aus Hamburg. Bei ihrer Reise in PNG hat sie Menschen getroffen, die der Hexerei beschuldigt wurden und deshalb unterschiedlichste Formen von Gewalt erleiden mussten. Sie zeigte anhand eindrücklicher Bilder auf, dass nach einer Hexereibeschuldigung das Leben des Opfers im gewohnten Kontext nicht mehr möglich ist: Die Hände sind zerstört, damit ist keine Selbstversorgung mehr möglich. Die Frau ist geschnitten und kann nicht mehr in ihrem Dorf leben. Für viele Frauen ein Todesurteil. Neben den vielen Opfern hat sie aber auch Frauen getroffen, die etwas gegen Hexereibeschuldigungen unternehmen. So zum Beispiel „Voice for Change“: Die kleine NGO veranstaltet in den Dörfern Hygienekurse, um mit der Keimvermeidung auch plötzliche Erkrankungen und damit Gründe für Hexereianschuldigungen zu verringern.

In der abschließenden Podiumsdiskussion, die von Pfarrer Penga Nimbo geleitet wurde, wurde nochmal deutlich, dass das Thema Gewalt gegen Frauen kein einfaches ist und niemanden kalt lässt. Der Austauschpfarrer aus PNG, der für vier Jahre ökumenischer Mitarbeiter von Mission EineWelt sowie Pfarrer in einer bayrischen Gemeinde ist, hat nochmal deutlich gemacht, dass viele Gegebenheiten kulturell bedingt sind und viele Situationen missverstanden werden, die dann zu Verallgemeinerungen führen. Auch er hat auf die vielen vorhandenen Möglichkeiten hingewiesen, die den Frauen in PNG zur Seite stehen, wie z.B. sogenannte „meri seif ples“ (Frauen-Sicherheits-Orte) oder auch die vielen Frauenkreise in den Dörfern, in denen sich Frauen öffnen und über ihre Erfahrungen sprechen können. Die hitzige Diskussion führte zum Ergebnis, dass die Menschenrechte für alle gültig sind und sich alle wünschen, dass dies auch bald möglichst überall umgesetzt wird.

Im Anschluss an die Vorträge kamen beim Rundgang durch die Ausstellung „Gender Violence in Neuguinea“, das vom Pazifik-Netzwerk e.V. unter Federführung von Marion Struck-Garbe konzipiert und erstellt wurde, viele Diskussionen auf. Dies hat Margaret Obaga, Pfarrerin aus Kenia und für vier Jahre ökumenische Mitarbeiterin bei Mission EineWelt, nochmal aufgegriffen: Alle Menschen sind gleichberechtigt und egal, welchen Stand oder Status sie haben – Gewalt gegen Menschen ist nie eine Lösung.

Zusatzinformationen:

Ein Dossier zum Thema „Sanguma - Hexerei, Magie und christlicher Glaube in Papua-Neuguinea“ von Pfarrer Jack Urame (Bischof der ELC PNG) kann in der Pazifik-Infostelle bestellt werden oder auf der Homepage als PDF heruntergeladen werden. www.pazifik-infostelle.org/shop/artikel/dossier98.html

Die Ausstellung „Gefährliche Orte für Frauen. Gender Violence in Papua-Neuguinea und Westpapua (Indonesien)” ist als Wanderausstellung konzipiert. Die 12 Tafeln können in der Pazifik-Infostelle entliehen werden. www.pazifik-infostelle.org/publikationen/ausstellungen/8609342.html


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