Der französische Präsident Emmanuel Macron zu Besuch in Kanaky-Neukaledonien

18.06.2018: Eine Analyse von Pazifik-Netzwerk-Mitglied Dr. Matthias Kowasch, Universität Graz

Der französische Präsident Emmanuel Macron zu Besuch in Kanaky-Neukaledonien

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat vom 3.-5. Mai 2018 das Überseegebiet Neukaledonien besucht. Das Datum ist kein Zufall, da es mit dem 30. Jahrestag der Tragödie von Ouvéa zusammenfällt, bei der im Jahr 1988 19 Kanak-Unabhängigkeitskämpfer, vier Gendarmen und zwei Soldaten ums Leben kamen. Macron hat nicht nur die Hauptstadt Nouméa und die mehrheitlich von Kanak bewohnte Nordprovinz besucht, sondern auch Kränze auf Ouvéa niedergelegt.

Die leidvolle Kolonialisierungsgeschichte wirft weiterhin einen Schatten auf die Beziehungen zwischen dem südpazifischen Archipel und dem französischen Mutterland. Macron wollte ein Zeichen setzen und hat auf mehreren Gedenkveranstaltungen in Neukaledonien gesprochen. Sechs Monate vor dem bevorstehenden Referendum über die politische Unabhängigkeit des Landes, welches am 4. November 2018 stattfinden wird, war der Besuch Macrons von besonderer Bedeutung. Der französische Präsident betonte, dass er es ablehnt, eine eindeutige Position für oder gegen die Unabhängigkeit Neukaledoniens einzunehmen. Gleichzeitig stellte er fest, dass Neukaledonien ohne Frankreich nicht das gleiche Land wäre.

Die Positionierung des französischen Staatspräsidenten kommt nicht überraschend. Bereits vor dem Abflug aus Australien hatte er betont, sich nicht einzumischen. Bei seiner Rede im „Théâtre des îles“ in Neukaledoniens Hauptstadt Nouméa hat Macron diese Position erneuert und ausgesagt „keine Position zu beziehen“. Geschichte würde nicht stehen bleiben, sondern werde jeden Tag neu verhandelt. Es wäre nicht die Aufgabe des Staatspräsidenten, eine Entscheidung zu fällen, die Neukaledonier alleine würden über die Zukunft ihres Landes entscheiden. Ohne es direkt auszusprechen, hat Macron dennoch den Wunsch, dass Neukaledonien weiterhin zu Frankreich gehöre.
Bereits während seines Wahlkampfes hatte der ehemalige Wirtschaftsminister seinen Wunsch geäußert, dass Neukaledonien in der „nationalen Gemeinschaft“ verbleibe. Mit diesem Wunsch scheint Emmanuel Macron nicht allein zu sein: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts I-Scope und dem Fernsehsender Caledonia möchten 59,7 % gegen die Unabhängigkeit stimmen. Der französische Staatspräsident äußerte den Wunsch, dass das Referendum im November in einer friedlichen Atmosphäre abläuft. Jeder solle am Tag danach seiner Arbeit bzw. seiner Beschäftigung nachgehen können. Neukaledonien nehme im indo-pazifischen Raum eine sowohl auf politischer wie auch auf wirtschaftlicher Ebene strategische Rolle ein, insbesondere gegenüber den hegemonialen Ansprüchen Chinas. Weiterhin könne das Land eine wichtige Rolle beim Kampf gegen den weltweiten Klimawandel spielen. Vor Macron hatte bereits einmal ein französischer Staatspräsident ähnliche Worte gewählt, das war Charles de Gaulle im Jahr 1966.

Nach der Erklärung Macrons 2017 in Algerien, wo er die Kolonialisierung als „Verbrechen an der Menschlichkeit“ bezeichnet hatte, betonte er in Neukaledonien die Schuld der Franzosen gegenüber den Kanak, die unter der Kolonialgeschichte zu leiden hatten. Niemals würde die Benachteiligung der Kanak vergessen werden. Ohne Land, ohne Rechte, ohne Ehre ...
Neukaledonien würde mit der Erinnerung an die blutigen Aufstände und der Trennung zwischen Dörfern, organisiert von der Kolonialverwaltung, leben müssen. Auch an das Strafgenfangenelager, welches Ende des 19. Jahrhunderts in Neukaledonien eingerichtet worden war, erinnerte der französische Präsident. Heute müssten Kanak, Caldoches [in Neukaledonien geborene Weiße französischer Abstammung], Zoreils [nach Neukaledonien eingewanderte Franzosen], Polynesier, Vietnamesen, Indonesier, Japaner und alle anderen Ethnien gemeinsam das heutige Neukaledonien bauen.

Emmanuel Macron besuchte gleich zu Beginn seines Aufenthaltes in Neukaledonien die Nordprovinz des Landes, welche von Unabhängigkeitsbefürwortern regiert wird. In Koné, der Hauptstadt der Nordprovinz, wurde der Präsident herzlich empfangen. Gleichzeitig demonstrierten in den Straßen der Hauptstadt Nouméa ca. 4.000 Personen gegen die Unabhängigkeit des Landes. Der sensibelste Programmpunkt Macrons in Neukaledonien war sicherlich sein Besuch auf der Insel Ouvéa, der Beunruhigung bei neukaledonischen Abgeordneten und Unstimmigkeiten bei den Bewohnern der Insel hervorrief.

Letztendlich war der Besuch Emmanuel Macrons auf der Insel ein Erfolg. Macron war der erste Präsident, der Ouvéa seit der Tragödie 1988, der die Insel wie auch das gesamte Land traumatisiert hatte, besuchte. Erst legte er einen Kranz in der Gendarmerie von Fayaoué nieder, in Erinnerung an die vier Gendarmen, die am 22. April 1988 von Unabhängigkeitskämpfern umgebracht worden sind, und an die zwei Soldaten, die beim Sturm auf die Grotte mit den Geiseln starben. Unter dem Applaus mehrerer hundert Einwohner pflanzte er anschließend in der Gendarmerie eine Kokospalme, für die Kanak ein Symbol des Lebens. An seiner Seite stand einer der Söhne Alphonse Dianous, dem Anführer der FLNKS-Unabhängigkeitskämpfer, die die Gendarmerie 1988 gestürmt hatten. Drei Kränze wurden auf Steintafeln niedergelegt, die an den Tod der FLNKS-Politiker Jean-Marie Tjibaou und Yeiwené Yeiwené sowie Djubelly Wea, der gegen die Matignon-Verträge opponierte und die beiden FLNKS-Führer am 4. Mai 1989 umgebracht hatte, erinnern.

Der umstrittenste Programmpunkt Macrons war jedoch der Besuch der Gedenkstätte an die 19 Kanak-Unabhängigkeitskämpfer, welche beim Sturm der Grotte ihr Leben ließen, wobei einige von ihnen nach Beendigung der Aktion von französischen Soldaten ohne Gerichtsurteil hingerichtet worden waren. Der Besuch hatte zu Protesten auf Seiten einer Gruppe von Einwohnern Ouvéas geführt. Eine ältere Frau bat Macron in einem Brief, von dem Besuch auf Ouvéa abzusehen, da bei den betroffenen Familien die Wunden noch nicht verheilt und sie noch nicht bereit für einen Besuch seien. Der Besuch würde als „Provokation“ angesehen. Emmanuel Macron wählte daraufhin eine Kompromisslösung. Er besuchte das Grabmal, blieb jedoch auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen, während die Familien der Opfer einen Kranz niederlegten. Die Geste wurde von betroffenen Familien warmherzig und mit Dank aufgenommen, sie sprachen von einem „großem Moment“.

Zurück in der Hauptstadt Nouméa und vor seiner Rede im „Théatre des îles“ hat Emmanuel Macron schließlich das Centre Culturel Tjibaou besucht und dort zwei Schriftstücke, welche die Inbesitznahme Neukaledoniens durch Frankreich beurkunden, an die neukaledonische Regierung übergeben. Dabei erklärte er, dass die Zeit des „Besitzes“ vorbei wäre und die Zeit der freien Wahl und einer gemeinsamen Verantwortung gekommen sei. Die symbolische Geste wurde von der neukaledonischen Regierung dankend angenommen. Philippe Germain, rechtsgerichteter Präsident der lokalen Regierung sagte, dass der Präsident damit in die Geschichte Neukaledoniens eingehen werde.

Quellen:

  • sowie Dr. Matthias Kowasch (Karl-Franzens-Universität Graz und Vorstandsmitglied im Pazifik Netzwerk)

(Übersetzungen aus dem Französischen: Dr. Matthias Kowasch)