Weihnachtswunder zwischen den Jahren

08.01.2024: Seemannspastor Andreas Latz berichtet aus Singapur

Als vor Weihnachten am 15. Dezember 2023 das 368m lange Containerschiff Al Jasrah der deutschen Reederei Hapag Lloyd von einer Rakete der Huthi-Rebellen im Roten Meer beschossen wurde, ereilte mich schnell sowohl von der Deutschen Seemannsmission in Hamburg als auch der Hapag Lloyd die Bitte, sich um die Mannschaft im Hafen von Singapur zu kümmern.

Nach Weihnachten traf die Al Jasrah nun endlich in Pasir Pajang, dem größten Containerhafen Singapurs, ein. Viele Mails sind mit dem Kapitän vorausgegangen. Eine Kindergottesdienstgruppe der lutherischen Gemeinde im Holland Village hatte Karten für die Seeleute geschrieben und kleine Weihnachtsgeschenke vorbereitet.

Der Watchman begrüßte mich schon mit Namen, ich wurde erwartet. Ein langes Gespräch mit dem Kapitän in der Messe der Crew schloss sich an. Eigentlich war man sich relativ sicher, dass ein Schiff mit dem arabischen Namen Al Jasrah, die Brücke, eher nicht beschossen wird. Doch am hellen Tag des 15. Dezember traf eine Rakete backbords die Ladung des Schiffs, setzte Container in Brand und die Druckwelle ließ zwei Container über Bord gehen.
Der polnische Kapitän war unglaublich stolz auf seine Mannschaft, jeder habe in der Situation ausgesprochen professionell reagiert und unverzüglich alle vorbereiteten Notfallprotokolle abgearbeitet. So konnte das durch die Rakete verursachte Feuer bei mehreren Containern schnell gelöscht werden. Da die Struktur des Schiffskörpers nicht beschädigt wurde, entschied sich die Schiffsleitung, die Fahrt mit der möglichen Höchstgeschwindigkeit von 17 Knoten wieder aufzunehmen.

Vorbei an der weitaus kleineren MSC Palatium III, die von drei Raketen getroffen in Flammen stand, aber notwendige Hilfe durch amerikanische Marineboote schon nahe war.

Wohl erst im Abstand von einem Tag und dem Erreichen sicherer Gewässer stellte sich der zu erwartende Schock bei den Crewmitgliedern ein. Alle vergegenwärtigten sich erst jetzt, dass sie mit dem Leben davon gekommen waren oder einer potentiellen Geiselnahme und Piraterie.

Der Kapitän teilte mit mir seine große Sorge, dass er wohl verpflichtet sei, auf dem Rückweg wieder durch das Rote Meer zu fahren, da gerade die weltgrößte Container-Reederei Maersk entschieden hatte, diese gefährliche Route wieder aufzunehmen und Hapag-Lloyd sich anschloss.

Ich lernte, dass selbst bei Beschädigung oder Sinken eines Schiffes im Roten Meer und einer in diesem Fall mit aller Wahrscheinlichkeit nicht zahlenden Schiffsversicherung es für die Reedereien immer noch günstiger kommt, ein Schiff zu verlieren, als die lange Route über das Kap der guten Hoffnung zu nehmen. Wir beide schüttelten nur den Kopf angesichts der Brutalität des Geschäftes. In den anschließenden Gesprächen mit der philippinischen Crew wurde diese existentielle Angst intensiv zum Ausdruck gebracht.


Zu Hause angekommen, bedankte ich mich via Mail beim Kapitän sehr herzlich für die Möglichkeit dieses dreistündigen Besuches an Bord und formulierte den Wunsch, dass er doch, wenn er könne, die Rückfahrt nach Europa über das Kap der guten Hoffnung nehmen möge. Nur Minuten später erreichte mich eine Mail vom CEO des Hamburger Lloyds, dass er garantieren könne, dass alle Schiffe von Hapag Lloyd vorerst NICHT die Route durchs Rote Meer nehmen werden. Ich war sehr erleichtert.

Seemannspastor Andreas Latz, Singapur