Moruroa - Insel des Geheimnisses
27.02.2004: Die Folgen der Atombombentests in Französisch-Polynesien kommen erst langsam ans Tageslicht
Dora, Edith, Nicole, Brigitte, Yvonne, Françoise … die Bohrlöcher auf dem Riff des Moruroa-Atolls tragen Frauennamen. Nach etwa 50 Namen, Bohrungen und unterirdischen Atomexplosionen war auf dem Atollring kein Platz mehr, die Bohrlöcher wurden dann von schwimmenden Bohrplatt-formen von der Lagune aus in den Sockel des Atolls getrieben. 154 unterirdische Atomtests haben zwischen 1975 und 1996 den Untergrund der Südsee-Atolle Moruroa und Fangataufa durchlöchert, davor verseuchten 41 oberirdische Explosionen die Inseln.
Tina Kohumuitinis Mann hat zwölf Jahre lang als Schreiner auf Moruroa gearbeitet, zum Teil noch zur Zeit der oberirdischen Tests. Sie berichtet: "Ich habe Probleme beim Kinderkriegen bekommen. Ich habe Kinder verloren, und auch mein Mann ist sehr krank, seit er auf Moruroa gearbeitet hat, er hat ein Magen-Darm-Geschwür. Ich habe sechs Kinder verloren, und niemand kann mir sagen warum. Ich war bei den Ärzten, ich war im Krankenhaus - und keiner will mir sagen, warum meine Kinder sterben. Als ich das letzte Mal im Krankenhaus war, haben sie mir gesagt, dass das letzte Kind, das mir weggestorben ist, Bakterien im Blut hatte. Und ich würde zu Frühgeburten neigen, haben die Ärzte auch gesagt. Aber das erste Kind, ein Mädchen, das ich bekam, bevor Josephe nach Moruroa ging, und das auch noch lebt, das ist auch zu früh gekommen und ist heute kerngesund! Das erste von den sechs Kindern, die ich verloren habe, ist morgens zur Welt gekommen und abends war es tot. Das zweite ist gleich bei der Geburt gestorben, das dritte zwei Monate später. Das vierte - ein Mädchen - hat drei Wochen gelebt. Das letzte war ein Junge, der nach acht Monaten gestorben ist. Und ich erinnere mich an einen kleinen Jungen, den ich zur Welt gebracht habe, und als ich ihn nach der Geburt in meine Arme nahm und an mich drückte, da hat sich seine Haut abgelöst." (1)
Trotz vielfältiger Proteste auf Tahiti, aus Samoa, Fidschi, Peru, wo radioaktiver Niederschlag gemessen wurde, von Umweltgruppen sowie aus Australien, das - unterstützt von Neuseeland - 1973 vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag sogar den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die oberirdischen Tests erreichte, verkündete Frankreich erst im September 1974, künftig nur noch unterirdische Versuche durchführen zu wollen. "Unterseeisch", sagen die Einheimischen.
Bei jeder Explosion im Innern des Atolls entstanden unter großer Hitze riesige Hohlräume, in die anschließend Gestein nachrutschte. Das führte zu kilometerlangen Rissen im Atoll und zum Absinken der Atolloberfläche. Löchrig wie ein Schweizer Käse ist heute das Moruroa-Atoll.
Auf den Inseln des Tuamotu-Archipels, wo wegen der Tests große Hafenanlagen und Landebahnen gebaut wurden, hat die Fischvergiftung Ciguatera, die auf Algen zurückgeht, die auf zerstörten Korallen wachsen, das Grundnahrungsmittel der Bewohner befallen. Den Fischen machen die Gifte aus den Algen nichts aus, aber bei Menschen führen sie zu schwersten Gesundheitsstörungen.
Die militärischen Anlagen auf dem Moruroa-Atoll sind inzwischen abgebaut. Aber was geschieht, wenn mit dem Klimawandel steigende Meeresspiegel, heftigere Stürme und größere Flutwellen an einem rissigen, durchlöcherten, mit radioaktiven Stoffen gefüllten Atoll nagen, in dessen Lagunen-schlamm noch Plutonium verteilt ist? "Großes Geheimnis" bedeutet Moruroa in der Landessprache.
Ulrich Delius (1990): SOS Moruroa. Französische Atomtests im Pazifik. Neuendettelsau
(1) Interview Ingrid Schilsky, Erich-Kästner-Ring 17, 22175 Hamburg