BLICKPUNKT: Kolonialismus und antikolonialer Widerstand im Pazifik der Gegenwart

01.05.2003: Kurzinformationen aus dem Pazifik Nr. 12

von Lorenz Gonschor, Tübingen

Die meisten Menschen gehen heute davon aus, dass der Kolonialismus und der Widerstand dagegen ein Problem der Vergangenheit war und heute nicht mehr aktuell ist. Dass dies so ist, liegt daran, dass die meisten Leute nur auf Afrika, Asien und Lateinamerika schauen, den Pazifikraum aber mehrheitlich ignorieren. Dort stehen nämlich einige der größten Gebiete bis heute unter der Herrschaft fremder Staaten. Unter diesen Kolonialgebieten befinden sich auch die drei touristisch bekanntesten Pazifikinseln: Hawai`i, Tahiti und die Osterinsel.

Der hawaiianische Unabhängigkeitsaktivist Kekuni Blaisdell sagte 1998 sogar, der Kolonialismus im Pazifik habe sich in letzter Zeit eher intensiviert und verschlimmert, anstelle wie erhofft zurückzugehen.

Kolonialismus und Unabhängigkeit im Pazifik

Schaut man sich die Karte des Pazifiks an, so sieht man, dass von den insgesamt 27 politischen Einheiten gerade einmal 15, also knapp über die Hälfte, unabhängig sind. Die übrigen zwölf stehen weiterhin unter Fremdherrschaft. Man möchte zunächst vielleicht meinen, diese Gebiete seien deshalb nicht unabhängig geworden, weil sie dafür zu klein wären, aber bei näherem Hinsehen stellt sich dies als Trugschluss heraus, denn es gibt im Pazifik durchaus selbständige Staaten mit winziger Größe, wie Tuvalu mit 10.000 oder Niue mit 1.500 Einwohnern. Gleichzeitig sind unter den fremdbeherrschten Gebieten nicht nur ebenso kleine, sondern auch einige der größten politischen Einheiten des Pazifiks, wie Westpapua mit 2,5 Mio. Einwohnern oder Hawai'i mit 1 Mio. zu finden.

Grund für die Gewährung bzw. Nichtgewährung der Unabhängigkeit ist somit nicht die Größe der Gebiete, sondern allein der politische Wille der jeweiligen Kolonialmacht. Großbritannien hat dabei die vorbildlichste Rolle gespielt: Praktisch alle ehemals britischen Kolonien im Pazifik (z. B. Fidschi, Salomonen, Tuvalu u.a.) sind in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts unabhängig geworden. Das gleiche gilt für Australien und Neuseeland, die ebenfalls Kolonien im Pazifik hatten und diesen die Unabhängigkeit gewährten (Australien: Papua-Neuguinea und Nauru; Neuseeland: West-Samoa, Cook-Inseln u. a.).

Frankreich dagegen hat bisher keine seiner pazifischen Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen, und auch die USA klammern sich bis heute an die meisten ihrer Kolonialgebiete im Pazifik.

Entkolonisierung ist allerdings nicht allein Sache der jeweiligen Kolonialmacht, sondern auch ein zentrales Anliegen der Vereinten Nationen seit ihrer Gründung 1945. Von der UNO wurden dafür nach und nach völkerrechtliche Regeln aufgestellt.

Regularien der UNO zur Entkolonisierung

Bereits in der UN-Charta von 1945 wird in Kapitel IX, Artikel 73 festgelegt, dass "alle Kolonialmächte verpflichtet sind, die von ihnen verwalteten Gebiete zum Wohle der Bevölkerung zu verwalten und diese auf die Selbstverwaltung vorzubereiten. Darüber ist der UN regelmäßig Rechenschaft abzulegen."

1946 wird dazu eine Liste erstellt, auf der alle nicht-selbstverwalteten Gebiete aufgeführt sind. Das Problem dabei war aber: Die Kolonialmächte entschieden selbst, welche Gebiete auf die Liste kamen. Manche weigerten sich, ihre Kolonien zu melden, andere entfernten ihre zuvor gemeldeten Gebiete willkürlich wieder von der Liste.

1953 wurde in der Resolution 742 (VII) präzisiert, wie ein nicht-selbstverwaltetes Gebiet seine Selbstbestimmung erreichen kann: Im Regelfall geschieht dies durch das Gewähren der Unabhängigkeit. Als mögliche Sonderformen kann auch Assoziierung mit einem Staat oder Integration in einen Staat (die ehemalige Kolonialmacht oder ein Drittstaat) akzeptiert werden. Letztere Optionen müssen aber von der Bevölkerung in einer Abstimmung, in der auch die Option der Unabhängigkeit besteht, ausdrücklich so gewählt worden sein.

1960 wurde die Entkolonisierung dann endgültig durch zwei Resolutionen systematisiert:

Resolution 1514 (XV) bekräftigt das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung. Sie müssen ihren politischen Status frei bestimmen können. Jegliche Manipulationsversuche dieses Rechts seitens der Kolonialmächte werden entschieden verurteilt.

Resolution 1541 (XV) präzisiert die Bedingungen für die Klassifizierung als nicht-selbstverwaltetes Gebiet: In Frage dafür kommen Gebiete, die vom Mutterland geographisch getrennt und ethnisch oder kulturell verschieden sind. Ein solches Gebiet hat dann seine Selbstbestimmung erreicht, wenn eine der drei Optionen aus Resolution 742 gewählt wurde, also Unabhängigkeit, Assoziierung oder Integration. Eine mögliche Integration muss ausdrücklich in einer allgemeinen Volksabstimmung bestätigt werden.

Von nun an entscheiden nicht mehr die Kolonialmächte selbst, sondern die Generalversammlung der UNO nach den Kriterien der Resolution 1541, welche Gebiete auf der Liste zu stehen haben.

Umsetzung dieser Regularien im Pazifik

Nach dieser Systematisierung arbeitete die UNO insgesamt recht erfolgreich an der Entkolonisierung der Welt. Die meisten zu Unrecht von der Liste entfernten Gebiete wurden wieder in diese aufgenommen und nach und nach erfolgreich entkolonisiert. Leider wurde dabei aber der Pazifik größtenteils übersehen. Die meisten dort unrechtmäßig von der Liste entfernten Gebiete wurden nicht wieder aufgenommen.

Die fünf pazifischen Gebiete, die heute noch auf der Liste stehen, sind überwiegend solche, die gar keine Unabhängigkeitsambitionen haben und ihren derzeitigen Status beibehalten wollen. Einzig das US-amerikanische Kolonialgebiet Guam in Mikronesien hat starke Ambitionen auf eine Änderung seines Status (wenn auch nicht auf volle Unabhängigkeit), was von den USA aber gegen den Willen der UNO blockiert wird. Die fünf Gebiete im Pazifik mit starken Unabhängigkeitsambitionen (Neukaledonien, Westpapua, Osterinsel, Hawai'i, Französisch-Polynesien) wurden dagegen alle von der Liste gestrichen oder gar nicht erst in die Liste aufgenommen und galten damit offiziell als "entkolonisiert", ohne dass dort ein völkerrechtlich korrekter Entkolonisierungsprozess stattgefunden hat. Die UN-Regularien wurden in diesen Fällen manipuliert, um Kolonialgebiete ohne Entkolonisierung von der Liste zu entfernen. Die UNO nahm dies überwiegend gleichgültig hin. Einzig im Fall von Neukaledonien korrigierte sie im nachhinein ihren Fehler und setzte das Gebiet wieder auf die Liste.

Die heutigen pazifischen Kolonien im einzelnen:

Neukaledonien hat heute ca. 200.000 Einwohner, davon sind etwa 90.000 indigene Melanesier, die sich selbst als Kanaken bezeichnen (Kanaka = Mensch). 1947 wurde das Gebiet von Frankreich willkürlich aus der Liste der nicht-selbstregierten Gebiete gestrichen. Damit war die UNO aus dem Spiel. Zunächst gab es dann Ende der 50er Jahre eine kurze liberale Phase mit einer gewissen inneren Autonomie. Anfang der 60er Jahre wurde aber wieder eine autoritäre und repressive Kolonialherrschaft eingeführt. Französische Siedler wurden gezielt angesiedelt, so dass die Kanaken im Laufe der 60er und 70er Jahre zur Minderheit im eigenen Land wurden. Grund für dieses neokoloniale Vorgehen war dabei die für Frankreich strategisch wichtigen Nickelvorkommen (Neukaledonien ist weltweit der drittgrößte Produzent dieses Metalls).

In den siebziger und achtziger Jahren kam es zu einer wachsenden Polarisierung zwischen der Kolonialverwaltung und den Siedlern einerseits und den Kanaken andererseits, die die Unabhängigkeit wollten. Frankreich versuchte dies durch endlose Verhandlungsrunden hinauszuzögern, bis der Konflikt 1984 eskalierte: Die Kanaken gründeten die Kanakische Sozialistische Nationale Befreiungsfront (FLNKS) und riefen eine provisorische Regierung der "Republik Kanaky" aus. Infolgedessen kam es im Laufe der 80er Jahre zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen mit über 100 Toten.

Erst dies brachte die UNO schließlich zum Handeln: 1986 beschloss die UN-Generalversammlung, Neukaledonien wieder auf die Liste der nicht-selbstregierten Gebiete zu setzen. Unter diesem internationalen Druck schlossen die FLNKS, Vertreter der französischen Siedler und die französische Regierung 1988 schließlich einen Friedensvertrag. 1998 wurde dann im Nouméa-Abkommen die Zukunft des Landes endgültige geregelt: Über einen Zeitraum von 15 - 20 Jahren erhält Neukaledonein relativ weit gehende Autonomie. Danach soll es eine endgültige Volksabstimmung über die volle Unabhängigkeit geben.

Ein Problem sind dabei allerdings die Mehrheitsverhältnisse der Bevölkerung, die den französischen Siedlern eine knappe Mehrheit geben. Da diese das gleiche Wahlrecht wie die Kanaken besitzen, können sie bis heute die autonome Regierung doninieren. Für eine spätere Unabhängigkeit ist es also von zentraler Wichtigkeit, eine Konsensbildung unter Einschluß der Siedler zu erreichen und sie in eine kanakische Gesellschaft zu integrieren.

Trotz dieser Probleme ist Neukaledonien dennoch ein bisher positives Beispiel dafür, wie eine pazifische Kolonie, die völkerrechtswidrig aus dem Entkolonisierungsprozess herausgerissen worden war, wieder in das UN-System der Entkolonisierung integriert werden kann. Ähnliches wäre für die folgenden drei Gebiete dringend ebenso geboten.

Westpapua (indonesisch)

Der schlimmste Fall von zeitgenössischem Kolonialismus im Pazifik ist Westpapua.

Dieses Gebiet umfasst die Westhälfte von Neuguinea mit einer Fläche etwas größer als Deutschland. Es gibt dort heute etwa 1,5 Mio. einheimische papuanische Einwohner sowie knapp 1 Mio. zugewanderte Indonesier.

Westpapua war als Niederländisch-Neuguinea zunächst eine holländische Kolonie. Die Holländer meldeten das Gebiet dann 1946 ordnungsgemäß bei der UNO und bereiten es in den 50er Jahren langsam auf die Unabhängigkeit vor, verhielten sich als Kolonialmacht also recht vorbildlich.

Ein Problem bestand dabei allerdings darin, dass das Nachbarland Indonesien Westpapua beanspruchte. Vorgeschobene Begründung war das Argument, Indonesien, selbst ehemals holländische Kolonie, habe jetzt Anspruch auf alle niederländischen Kolonialgebiete. Der wahre Grund war der Reichtum an Bodenschätzen und die dünne Besiedlung, die Westpapua zur idealen Siedlungskolonie für das übervölkerte Indonesien machte. Die USA unterstützten Indonesien in seinem Anspruch und beide übten so lange Druck auf die UNO aus, bis diese 1962 unter klarer Verletzung ihrer eigenen Resolutionen 1514 und 1541 beschloss, Westpapua ohne Abstimmung an Indonesien zu übergeben. Statt dessen sollte Indonesien nach sechs Jahren selbst eine Volksabstimmung abhalten. 1969 ernannte Indonesien (damals eine Militärdiktatur) dann ein Gremium aus 1.025 Wahlmännern. Diese stimmten in einer offenen Abstimmung mit 100 % für die Integration. Dies war ein klarer Bruch der Resolution 1541, denn ganz abgesehen von der undemokratischen Durchführung der Wahl ist nach Resolution 1541 die Abstimmung eines Gremiums nicht zulässig, sondern ausschließlich eine allgemeine Volksabstimmung. Trotzdem erkannte die UNO diese Scheinabstimmung an und brach damit erneut ihre eigenen Resolutionen. Westpapua wurde als "Irian Jaya" zu Indonesiens 26. Provinz.

Seither wird jeglicher Widerstand der Papuas mit erbarmungsloser Grausamkeit unterdrückt: Mindestens 100.000 Papuas kamen bisher ums Leben. Folter, "Verschwindenlassen" und Morde sind bis heute an der Tagesordnung. Planmäßig werden Indonesier angesiedelt und die einheimische Bevölkerung zunehmend marginalisiert.

Kurz nach der Annexion wurde als Widerstandsbewegung der Westpapuas die Organisation Freies Papua (OPM) gegründet. Sie besteht einerseits aus einem politischen Flügel von Aktivisten im Exil, andererseits aus einem militärischen im Untergrund, der einen Guerillakrieg gegen die Indonesier führt. Wegen schlechter Bewaffnung ist dieser Kampf allerdings recht erfolglos. Viele Westpapuas sind vor den Kämpfen ins unabhängige Papua-Neuguinea geflüchtet.

Nach dem Sturz der Diktatur in Indonesien kam es dann im Jahr 2000 zu einer kurzen liberale Periode. Mit Duldung der indonesischen Regierung bildete sich ein gewähltes Papuanisches Präsidium (PDP), das die Unabhängigkeit mit zivilen Mitteln in Verhandlungen erreichen will. Es formierte sich auch eine internationale Solidaritätsbewegung mit dem Ziel, bei der UNO eine Revision der Vorgänge von 1963 und 1969 zu erreichen. Diese hoffnungsvolle Periode des Tauwetters war aber nur von kurzer Dauer. Seit Ende 2000 reagiert Indonesien wieder mit brutaler Repression. So wurde Ende 2001 der PDP-Vorsitzende Theys Eluay von indonesischen Militärs ermordet. Eine Anfang 2002 in Kraft getretene sogenannte "spezielle Autonomie" ist bislang reine Makulatur.

Osterinsel (Rapanui) (chilenisch)

Bei der Osterinsel denkt jeder sofort an die berühmten megalithischen Steinfiguren, aber die meisten Leute übersehen, dass dort auch heute noch die Nachfahren dieser Kultur leben. Die Insel hat heute ca. 3000 Einwohner, wobei etwa drei Viertel davon einheimische Rapanui sind.

Von ihrer Kolonialmacht Chile wurde die Insel 1946 zu Unrecht nicht als Kolonie gemeldet und daher nicht auf die Liste der nicht-selbstregierten Gebiete gesetzt. Nach 1960, als dann die UNO selbst darüber entschied, wurde Rapanui weiterhin ignoriert, obwohl die Insel klar die Kriterien eines nicht-selbstregierten Gebietes nach Resolution 1541 erfüllt. Die Einheimischen wurden dort bis in die 60er Jahre von den Chilenen auf ganz besonders unmenschliche Weise unterdrückt, noch schlimmer als in den meisten anderen Kolonien des Pazifiks.

1966 erfolgte dann die Integration in den chilenischen Staat als Teil einer der Provinzen des Landes. Dies wurde jedoch von Chile willkürlich oktroyiert, es gab keinerlei Abstimmung. Seitdem hat die Insel insbesondere unter der Pinochet-Diktatur gelitten. Aber auch heute kommt es immer wieder zu Autonomie- und Unabhängigkeitsforderungen, denn die Rapanui fühlen sich nach wie vor bevormundet, auch wenn Chile selbst jetzt nach langer Militärdiktatur wieder demokratisiert ist. Den organisatorischen Rahmen des Widerstands bildet dabei einerseits der traditionelle Rat der Familienoberhäupter, anderseits gründen sich immer wieder radikalere Widerstandsgruppen, denen der Rat zu gemäßigt ist.

Der Grund für den Widerstand liegt auf der Hand: Die Rapanui-Insulaner fühlen sich eher den Einwohnern Tahitis und der anderen Inseln Französisch-Polynesiens, mit denen sie eng verwandt sind, verbunden als den Südamerikanern. Im 19. Jahrhundert wollten sie deshalb lieber mit Tahiti französisch als allein chilenisch werden. Durch die Zugehörigkeit zu Chile wurden sie aus dem pazifischen Kulturbereich herausgerissen und von ihren Verwandten isoliert.

Hawai'i (US-amerikanisch)

Hawai'i, heute als Tourismusziel weltweit bekannt, hat eine der tragischsten Entwicklungen in der Kolonialgeschichte durchgemacht, wenn auch keine so blutige wie Westpapua. Von den heute ca. 1 Mio. Einwohnern Hawai'is sind nur noch etwa 200.000 einheimische Hawaiianer. Die besondere Tragik liegt darin, dass gerade Hawai'i im 19. Jh. der bedeutendste Staat im Pazifik war und diplomatische Beziehungen zu fast allen Staaten der Welt pflegte.

1893 kam es dann aber zu einen Putsch weißer Siedler gegen die einheimische Regierung, wobei die Putschisten von US-Marinetruppen unterstützt wurden. Zunächst wurde ein weißes Apartheidregime errichtet und 1898 das Land endgültig von den USA in Besitz genommen. Bereits im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jh. führte dann die Massenansiedlung von Amerikanern und Asiaten zur Marginalisierung der Hawaiianer.

1946 meldeten die USA das Gebiet ordnungsgemäß bei der UNO als nicht-selbstregiertes Gebiet, aber 1959 wurde es wieder von der Liste gestrichen und nach einer Volksabstimmung zum US-Bundesstaat erklärt. Diese Abstimmung geschah unter Verletzung der Resolution 742, denn die Unabhängigkeit stand nicht zur Debatte, sondern nur die Integration in die USA als Bundesstaat. Außerdem durften alle in Hawai`i lebenden US-Bürger abstimmen und nicht nur Angehörige des kolonisierten Volks, wie von der UNO gefordert.

Lange Zeit gab es allerdings keinen organisierten Widerstand gegen diese völkerrechtswidrige Annexion. Erst in den 70er und 80er Jahren formierten sich im Zuge kultureller Erneuerungsbestrebungen politische Widerstandsbewegungen, die immer stärker für die Selbstbestimmung Hawai'is eintraten. Anfang der 90er Jahre schließlich erhielt die Unabhängigkeitsbewegung Hawai'is starken Zulauf. US-Präsident Clinton entschuldigte sich 1993 zum hundertsten Jahrestag für die Invasion von 1893, wobei die US-Regierung dem allerdings bisher keine weiteren Schritte folgen ließ. Auf die Unabhängigkeitsbewegung wirkte die Entschuldigung Clintons dagegen sehr stimulierend und im Laufe der 90er Jahre entstand eine Vielzahl politischer Bewegungen. Leider konnten sie sich aber bisher nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen. Innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung lassen sich heute zwei Hauptlinien abgrenzen: Die gemäßigte Linie fordert für die Hawaiianer Autonomie als indigenes Volk innerhalb der USA, nach Vorbild der amerikanischen Indianerstämme. Dies ist politisch realistisch, denn darüber lässt sich mit Washington durchaus verhandeln, doch diese Position erfordert eine stillschweigende Anerkennung der US-Oberherschaft über Hawai`i und damit die Aufgabe mancher Grundprinzipien.

Die Radikale Linie bleibt dagegen der Grundüberzeugung treu, dass Hawai'i als Ganzes ein von den USA illegal besetztes Land ist und fordert deshalb die volle Unabhängigkeit. Diese Position ist allerdings politisch eher unrealistisch, auch wenn sie ideell vollkommen gerechtfertigt ist.

Die UNO hat inzwischen begonnen sich in der Hawai`i-Frage zu engagieren, denn 1998 wurde in einem Arbeitspapier der UNO die Wiederaufnahme Hawai'is in die Liste der zu entkolonisierenden Gebiete empfohlen, was die Generalversammlung jedoch bisher noch nicht umgesetzt hat. Wenn man sich aber anschaut, wie wenig die USA zur Zeit von der UNO halten, kann man sich vorstellen, dass leider auch hier keine positiven Ergebnisse zu erwarten sind.

Französisch-Polynesien (Maohi-Land) (französisch)

Dieses Gebiet ist von seiner Ausdehnung das größte im Pazifik überhaupt, denn seine Meeresfläche ist so groß wie Europa (siehe Karte). Die Landfläche verteilt sich jedoch nur auf viele recht kleine Inseln, von denen Tahiti als Hauptinsel die größte ist. Das Land hat insgesamt etwa 250.000 Einwohner, wovon ca. 80% einheimische Maohi sind.

Ähnlich wie Neukaledonien wurde das Gebiet 1946 zwar bei der UNO gemeldet, 1947 aber willkürlich wieder von aus der Liste der nicht-selbstregierten Gebiete gestrichen. Im Gegensatz zu Neukaledonien hat die UNO hat aber nach 1960 die Wiederaufnahme Französisch-Polynesiens versäumt.

Dabei gab es dort von Anfang an starke Unabhängigkeitsbestrebungen. Bereits 1949 wurde die erste antikoloniale politische Partei gegründet, die Demokratische Vereinigung des Tahitianischen Volkes (RDPT). 1957 erhielt das Land innere Autonomie mit einer gewählten Regierung, wobei die RDPT die Mehrheit stellte. Diese begann das Land auf die erhoffte baldige Unabhängigkeit vorzubereiten. 1958 organisierte Frankreich dann (im Alleingang, ohne die UNO) eine Volksabstimmung, bei der unter starkem französischem Druck die sofortige Unabhängigkeit, obwohl vom lokalen Regierungschef favorisiert, mehrheitlich zurückgewiesen wurde. Damit wurde aber eine spätere Unabhängigkeit keineswegs explizit abgelehnt.

Unmittelbar danach wurde die Autonomie wieder abgeschafft und ein repressives Kolonialsystem wiedereingeführt. Pouvanaa, der Ministerpräsident der autonomen Regierung, wurde unter dubiosen Vorwürfen verhaftet und 10 Jahre lang inhaftiert, die RDPT verboten.

Der Grund für dieses repressive neokoloniale Vorgehen war die Einrichtung eines Atomtestgebietes auf dem Atoll Moruroa, wo dann von 1966 bis 1996 knapp 200 Atomtests stattfanden. Die Unabhängigkeit sollte deshalb unter allen Umständen verhindert werden. Durch den Aufbau der militärischen Infrastruktur strömte so viel Geld ins Land, dass die autarke einheimische Wirtschaft zerstört und das Land von Frankreich völlig abhängig gemacht wurde.

Gegen die Atomtests gab es von Anfang an Proteste. Aus dieser Bewegung ging dann in den 70er Jahren eine neue Unabhängigkeitsbewegung hervor. Zunächst war diese in viele kleine Gruppen zersplittert, dann aber bildete sich im Laufe der 80er und 90er Jahre erneut eine große politische Partei für die Unabhängigkeit heraus:

Die Tavini Huiraatira (Polynesische Befreiungsfront) unter der Führung von Oscar Temaru, der seit 1983 auch Bürgermeister der größten Gemeinde Tahitis ist. Insbesondere die letzten Atomtests 1995 gaben der Bewegung starken Auftrieb und verschafften ihr kurzzeitig internationale Aufmerksamkeit und Solidarität.

Allerdings stehen trotz allem bislang nur etwa 30 % der Maohi hinter diese Bewegung. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt dagegen den profranzösischen tahitianischen Politiker Gaston Flosse, der das Land seit 1984 im Rahmen einer erneuten inneren Autonomie regiert. Die Unabhängigkeitspartei muss sich mit der Oppositionsrolle begnügen. Der Grund für diese Mehrheitsverhältnisse ist aber nicht wirklich politisch, sondern mehr wirtschaftlich, denn Flosse verteilt die französische Subventionsgelder und kauft sich damit die Stimmen der Wähler. Durch diese Politik wird der Aufbau einer eigenständigen Wirtschaft verhindert und das Land immer mehr in die Abhängigkeit von Frankreich getrieben. Eine mögliche Unabhängigkeit wird damit wirtschaftlich immer schwieriger.

Fazit

Wie man an den Beispielen sieht, ist der Kolonialismus im Pazifik noch immer ein ernstzunehmendes Problem, das zu zahlreichen Ungerechtigkeiten, im Fall von Westpapua sogar zu Tausenden von Toten geführt hat und noch immer führt. Natürlich macht die Unabhängigkeit allein kein Land zum Paradies und keiner der unabhängigen Staaten des Pazifiks ist heute frei von Problemen. Diese Probleme sind jedoch keinesfalls schlimmer als diejenigen, die durch Unterdrückung und Bevormundung in den Kolonialgebieten entstehen. Auf jeden Fall sollten alle Völker des Pazifiks ohne Einmischung von außen ihr Schicksal selbst bestimmen dürfen, insbesondere deshalb, weil sie nur so ihre indigene Kultur langfristig erhalten können.

1998 beschloss die Generalversammlung der UNO für den Zeitraum von 2000 bis 2010 die zweite Dekade zur Ausrottung des Kolonialismus (die erste von 1990 bis 2000 war relativ erfolglos). Die UNO hat also offensichtlich zumindest in der Theorie begriffen, dass Kolonialismus noch immer ein Problem darstellt. Es kann allerdings nicht angehen, dass man sich dort um Kolonien kümmert, die auf der Liste stehen, aber gar nicht unabhängig werden wollen, während die wirklich eklatanten Fälle ignoriert werden, weil sie aufgrund von Manipulationen nicht oder nicht mehr auf der Liste stehen. Ebenso wie dies mit Neukaledonien geschah, müssen auch die vier anderen genannten Gebiete wieder auf die Liste gesetzt werden. Entkolonisierung muss im Pazifik in erster Linie Westpapua, Französisch-Polynesien, Hawai`i und die Osterinsel betreffen.

Weiterführende Literatur in deutscher Sprache:

Delius, Ulrich: SOS Moruroa - Französische Atomtests im Pazifik. Hrsg. von der Pazifik-Infostelle. Göttingen 1990.

Fischer, Hermann: Schatten auf der Osterinsel. Plädoyer für ein vergessenes Volk. Bibliotheks-und Informationssystem der Universität Oldenburg 1999.

Jadin, Pierre: Französisch-Polynesien - Eine aktuelle Landeskunde. Dossier der Pazifik-Infostelle Nr. 34. Neuendettelsau 1994.

Jadin, Pierre: Neukaledonien- Eine aktuelle Landeskunde. Dossier der Pazifik-Infostelle Nr. 35. Neuendettelsau 1994.

Gonschor, Lorenz: Die Unabhängigkeitsbewegung in Französisch-Polynesien und ihre Suche nach kultureller Identität. Dossier der Pazifik-Infostelle Nr. 60, Neuendettelsau 2002.

Gonschor, Lorenz: Dezentralisierung oder Entkolonisierung: Die Evolution des politischen Status der französischen Überseegebiete im Pazifik. Dossier der Pazifik-Infostelle Nr. 62. Neuendettelsau 2002.

Kanaka Maoli Tribunal Komike (Hrsg.): Laßt nie ab, gegen die Annexion Hawai'is zu protestieren. Deutsche Fassung des Mitteilungsblattes Self-Determination des Kanaka Maoli Tribunal Komike. Dossier der Pazifik-Infostelle Nr. 47. Neuendettelsau 1998.

Pazifik-Infostelle (Hrsg.): Kanaken - ein Südseevolk kämpft um sein Land und seine Kultur.Göttingen 1989.

Pazifik-Infostelle (Hrsg.): Westpapua - Zerstörtes Paradies. Deutsche Übersetzung des englischen Originals, hrsg. von der Londoner Anti-Slavery Society. Neuendettelsau 1994.

Schaumlöffel, Markus: Tahiti nach der Bombe. Dossier der Pazifik-Infostelle Nr. 52. Neuendettelsau 1999.

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