Zum Stand des Atomwaffensperrvertrags

25.01.2005: Infos zur Kampagne "Auf keinem Auge blind. Atomwaffenfrei bis 2020” des deutschen Trägerkreises "Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen”

60 Jahre nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki gibt es immer noch ca. 30.000 Atomwaffen auf der Erde, Tausende davon in Alarmstellung. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed El Baradei, hält die Gefahr eines Atomkriegs für "noch nie so groß wie heute.”

Im Mai 2005 treffen sich die Staaten zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages bei den Vereinten Nationen in New York. Weltweit haben NGOs eine Kampagne gestartet, mit dem Ziel, dass bei dieser bevorstehenden Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages Abrüstungsverhandlungen beginnen sollen. Der Bürgermeister von Hiroshima hat die Vision, dass dann bis 2020 alle Atomwaffen auf der Erde abgeschafft sein könnten.

In Deutschland wurde die Kampagne "Auf keinem Auge blind. Atomwaffenfrei bis 2020” des deutschen Trägerkreises "Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen” (www.atomwaffenfrei.de) begonnen, die ihren Teil zur Verwirklichung der Vision einer atomwaffenfreien Welt beitragen möchte. (>> siehe hierzu auch: "Unterstützungsstipendien für Aktionsreise nach New York zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages”).

Das Pazifik-Netzwerk e.V. gehört zum Trägerkreis und unterstützt die Aktion.

Wie aber ist der aktuelle Stand des Atomwaffensperrvertrags? Wir dokumentieren im Folgenden einen Artikel aus DISARMAMENT TIMES vom Herbst 2004.

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Zum Stand des Atomwaffensperrvertrags


Die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland, die beiden Länder, die über den größten Teil der Atomwaffen in der Welt verfügen, behaupten, sie seien ihren Abrüstungsverpflichtungen nach dem Atomwaffensperrvertrag (Non-Proliferation Treary = NPT) nachgekommen. Beide Länder betonten während der Eröffnungsdebatte des Ersten Komitees der UNO-Vollversammlung (Abrüstung und internationale Sicherheit) die Wichtigkeit des Vertrags und ihre eigene Rolle bei der Unterstützung seiner Durchsetzung.

Vereinigte Staaten

Vorwürfe, die USA hätten ihre Verpflichtung zur Abrüstung nach Artikel IV des NPT nicht erfüllt, seien "ungerecht und unwahr”, so der Staatssekretärsassistent für Waffenkontrolle, Stephen Rademaker gegenüber dem Ersten Komitee. In seiner Rede und einer schriftlichen Zusammenfassung spezifischer von den USA unternommener Aktionen zur Erfüllung ihrer NPT-Verpflichtungen erklärte Rademaker, seit 1988 hätten die Vereinigten Staaten 13.000 Atomwaffen abgerüstet. Etwa 3.000 - 90 Prozent - aller taktischen Atomwaffen seien zurückgezogen und zerstört worden. Bis 2012, wenn die Kürzungen nach dem Moskauer Vertrag abgeschlossen sein werden, würden die USA 80 Prozent des Arsenals, das sie 1991 besaßen, abgerüstet haben. Es sei falsch zu behaupten, diese Aktionen wären nicht, wie es der Vertrag verlange, transparent und unumkehrbar durchgeführt worden, denn die USA hätten Tonnen nuklearen Materials von abgerüsteten Waffen unter den Schutz der Internationalen Atomenergiebehörde gestellt. Sie hätten seit 15 Jahren kein spaltbares Material mehr hergestellt und beabsichtigten, dieses Moratorium fortzusetzen.

Allgemeiner verteidigten die USA ihre Unterstützung des Multilateralismus. Rademaker zitierte eine während des Gipfels verfasste US-britische Stellungnahme um zu zeigen, dass Washington weder für eine Lähmung noch für Unilateralismus sei: es sei für EFFEKTIVEN Multilateralismus.

Russland

Botschafter Leonid Skotnikov von der Russischen Föderation erklärte, Moskau käme seinen Verpflichtungen nach Artikel IV des NPT "streng und beständig nach”. Der dritten Sitzung des Vorbereitungskomitees der für 2005 geplanten NPT-Überprüfungskonferenz seien detaillierte Informationen über Russlands Initiativen und Aktionen ausgehändigt worden. "Wir glauben, dass ein schrittweiser Fortschritt in Richtung umfassender und vollständiger Abrüstung, die auf einem umfassenden Ansatz beruht, notwendig ist, ohne dass unrealistische Festpunkte und Ziele vorgeschlagen werden”, so Skotnikov. "Nukleare Abrüstung kann nicht außerhalb des Kontextes der Situation bei anderen Waffen durchgeführt werden, ebenso ohne Beachtung politischer Entwicklungen in der Welt, besonders in Europa, einschließlich der Entwicklung und Vergrößerung militärisch-politischer Allianzen.”

Atomstaaten, die dem NPT angehören

Die britischen und französischen Positionen, die in die vom niederländischen Botschafter Chris Sanders vorgetragene Stellungnahme der Europäischen Union eingegangen waren, fand Ausdruck in weitgefassten, unspezifischen Aussagen.

"Nicht-Weiterverbreitung und Abrüstung unterstützen sich gegenseitig”, so Sanders. Die EU würde "Fortschritt bei systematischen und progressiven Anstrengungen in Richtung Abrüstung ermutigen”. Sie würde die Ziele des NPT "aus vollem Herzen” unterstützen und bliebe "der effektiven Durchsetzung des Schlussdokuments der NPT-Überprüfungskonferenz von 2000 sowie den in der Überprüfungs- und Ausweitungskonferenz von 1995 angenommenen Entscheidungen und der Resolution verpflichtet.” (Diese Dokumente enthalten die "eindeutige Verpflichtung” der Nuklearstaaten gegenüber ihren Verpflichtungen nach Artikel IV um "in gutem Glauben Verhandlungen zu verfolgen”, um das Wettrüsten zu beenden, sowie einen "Vertrag zur generellen und vollständigen Abrüstung unter strenger und effektiver internationaler Kontrolle”; einen Aktionsplan in 13 Schritten und eine besondere Fokussierung auf die Situation im Nahen Osten.)

Der chinesische Botschafter Hu Xiaodi erhob keinen Anspruch darauf, Artikel VI des NPT zu beachten, meinte aber, Peking würde sich "niemals vor seiner Verantwortung für atomare Verantwortung drücken”. Er rief "Länder, die eine spezifische Verantwortung für atomare Verantwortung tragen, auf, ihre atomaren Arsenale auf unumkehrbare Art zu verringern und damit günstige Voraussetzungen für eine komplette atomare Abrüstung zu schaffen.”

Andere Atomstaaten

Die Atomstaaten, die sich dem NPT nicht angeschlossen haben, präsentierten ein interessantes Spektrum von Wahrnehmungen, drückten aber eine Reihe von gemeinsamen Ansichten aus.

Anand Sharma, Mitglied des indischen Parlaments, betonte die wachsende Besorgnis über die Bedrohung durch Verbreitung von Atomwaffen insbesondere durch nicht-staatlich Handelnde. Er meinte, die derzeit herrschende Nicht-Weiterverbreitungsregelung stände "großen Herausforderungen” gegenüber, und es bestehe "die Notwendigkeit zur Schaffung einer umfassenderen und weniger unterscheidenden Struktur, um die gegenwärtigen Probleme der Weiterverbreitung anzugehen.” Der "Brennpunkt bei der Verfolgung der Ziele der Nicht-Weiterverbreitung, ohne Fortschritt bei der globalen und kompletten Abrüstung, ist vielleicht schädlich und kontraproduktiv”, so Sharma. "Maßnahmen zur Ausweitung oder Verlängerung der existierenden Regelungen zu den Exportkontrollen und Technologieverboten werden friedliche Anwendungen von nuklearen Technologien verhindern und die bestehende Spaltung zwischen Nuklear- und Nicht-Nuklearstaaten dadurch verstärken, dass neue Klassen von Besitzenden und Nicht-Besitzenden geschaffen werden.

Der israelische Direktor für Waffenkontrolle, Alon Bar, drückte große Besorgnis über die Bedrohung durch Terroristen in Besitz von Massenvernichtungswaffen aus. Entwicklungen der letzten Jahre hätten die "Diskrepanzen zwischen den öffentlichen Verpflichtungen der Staaten des Nahen Ostens und ihres tatsächlichen Verhaltens” gezeigt. Diese Realität sowie die "inhärenten Begrenzungen von Waffenkontroll-Verträgen” wiesen auf "das Unvermögen von Verträgen, Israel die notwendigen Sicherheitszusagen zu gewährleisten”, hin.

Der pakistanische Botschafter Shaukat Umer meinte, "die Krise der atomaren Nicht-Weiterverbreitungsregelung entsteht nicht allein durch die offensichtliche Absicht einiger, atomare Waffen zu bekommen, sondern sogar noch mehr durch die Spannung zwischen atomarer Legalität und atomarer Realität.” Er schlug eine internationale Konferenz vor, die sich mit drei Hauptaspekten dieser Spannung beschäftigen solle. Der erste Spannungsaspekt bestehe zwischen den juristischen Anstrengungen der fünf NPT-Atomstaaten zum Erreichen atomarer Abrüstung gegenüber der Tatsache, dass trotz einiger Waffenreduktionen "über mehr als 20.000 Nuklearwaffen, die meisten in hoher Alarmbereitschaft, immer noch von den beiden größten Atomstaaten verfügt wird.” Der zweite Spannungsaspekt liege in der juristischen Anerkennung von nur fünf Atomstaaten, während es in Wirklichkeit noch drei andere gibt. Die NPT-Regelung habe ein "klaffendes Loch”, solange diese drei Staaten nicht zur Kooperation bereit seien. Tatsächlich habe IAEA-Generaldirektor Mohamed El Baradei "kürzlich die Beteiligung der drei nicht dem NPT angehörenden Nuklearstaaten bei zukünftigen Gesprächen über Nicht-Weiterverbreitung und Abrüstung” gefordert.

Der dritte Spannungsaspekt sei durch Versuche aus Sorge um Weiterverbreitung entstanden, Nicht-Nuklearstaaten zu bewegen, sich dem NPT anzuschließen, damit sie auf die Anreicherung nuklearen Brennstoffs und Wiederaufbereitungstechnologien verzichten sollten. Das Problem ließe sich jedoch durch ausschließende Handelsregeln und Strafen nicht lösen.

Pak Gil Yon, Botschafter der Demokratischen Volksrepublik Korea, prangerte die "Brigantendoktrin” an, dass nur große Länder Atomwaffen besitzen dürfen. Der wahre Grund für die Zerstörung internationalen Friedens und Sicherheit sei die unilaterale und willkürliche Politik atomarer Bedrohung durch die Supermacht. "Die substantielle und schwerwiegende Bedrohung durch Waffenvernichtungswaffen, die internationalen Frieden und Sicherheit gefährdet, kommt von niemand anderem als der atomaren Supermacht”, so Pak. Die Nicht-Weiterverbreitung solle mit einem Verbot der Verteilung von Atomwaffen in der ganzen Welt und der Doktrin des vorbeugenden Einsatzes beginnen. Nicht-Weiterverbreitung ohne eine Wahrnehmung des Kerns des Problems anzustreben sei eine "Flucht vor der Wirklichkeit”.

Nicht-Nuklearstaaten

Der iranische Botschafter Mehdi Danesh-Yazdi meinte, der Widerwille gewisser Atomstaaten, "ihre volle Unterstützung zu den vereinbarten 13 Schritten zur nuklearen Ab-rüstung” stelle die "schwierigste Hürde” für den Erfolg der NPT-Überprüfungskonferenz 2005 dar. Die "neuen Pläne eines Atomstaates zur Produktion einsatzfähiger Mini-Atomwaffen und die Zuweisung von Millionen von Dollar” für ihre Erforschung und Entwicklung stellten "die gesamte Zukunft atomarer Abrüstung infrage”. Der Iran sei, als ursprünglicher Unterzeichner des NPT, entschlossen, sein Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie auszuüben. Er habe wiederholt erklärt, Atom- und andere Massenvernichtungswaffen hätten keinen Platz in seiner Verteidigungsdoktrin, nicht nur wegen der vertragsmäßigen Verpflichtungen nach dem NPT und anderen relevanten Abkommen, sondern aus "nüchterner strategischer Kalkulation”.

Fast alle Nicht-Nuklearstaaten betonten die Bedeutung des NPT, und viele forderten ein Handeln der Atomstaaten gemäß Artikel VI des Vertrags.

Malaysia, das zur Zeit den Vorsitz der Bewegung der Blockfreien innehat, meinte, es dürfe keinen Zweifel darüber geben, "dass die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen eine Bedrohung von internationalem Frieden und Sicherheit darstellt. Doch noch wichtiger ist es nicht zu vergessen, dass schon die Existenz dieser Waffen allein eine Bedrohung des Überlebens der Menschheit und unseres Planeten bedeutet.”

Im Namen der Rio-Gruppe äußerte Brasilien, die Ablehnung regionaler Themen und die "kürzlichen Maßnahmen im Feld der Nicht-Weiterverbreitung außerhalb des Rahmens der Vereinten Nationen” könnten nicht zu einer konstruktiven Debatte auf der Überprüfungskonferenz 2005 beitragen. Die kontinuierliche Integrität des NPT sei "essentiell für die Glaubwürdigkeit der Bemühungen um Abrüstung und Nicht-Weiterverbreitung”.

Kanada erklärte, Nicht-Weiterverbreitung, Waffenkontrolle und Abrüstung seien von komplexer Substanz und gegenseitiger Abhängigkeit. Multilaterale Kooperation auf der Grundlage von Gesetzen sei der beste Weg, mit ihnen umzugehen. "Juristisch bindende Abkommen, die mit robusten Durchführungsbestimmungen ausgestattet sind, damit ein hoher Grad von Sicherheit gewährleistet ist, dass jede Nicht-Zusammenarbeit aufgedeckt wird”, blieben die "bevorzugten Mittel”, um Fortschritte zu konsolidieren. Kanada schlug die Einrichtung eines Gremiums von Regierungsexperten bis 2006 vor, die über die Rolle der UNO bei der Durchsetzung berichten sollen.

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Quelle: DER PAZIFIST Nr. 9/198 vom Dezember 2004. Originalquelle: DISARMAMENT TIMES, Herbst 2004, Vol.XXVII, Nr.4, Übers.: Bernd Büscher.
Veröffentlicht am 17.01.05
Weitergeleitet aus dem Rundbrief des Lebenshauses