BLICKPUNKT: Die Renaissance tribaler Konflikte in Papua-Neuguinea

01.06.2002: Kurzinformationen aus dem Pazifik Nr. 10

von Dr. Roland Seib, Darmstadt

Die wenigen Meldungen aus dem südlichen Hochland gehen von einem völligen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung aus. -Politische Führung und staatliche Dienstleistungen liegen danieder. Machtkämpfe um die Kontrolle der Provinzregierung, der Missbrauch öffentlicher Mittel, die illegale Besetzung von Verwaltungsposten und ein entlang ethnischer Trennungslinien verlaufender Konflikt mit hochgerüsteten "Kriegern" bestimmen das Bild der Region, die von ihren Bewohnern einst stolz als Herzschlag Papua-Neuguineas gepriesen wurde.

Der friedliche und politisch stabile Südpazifik, noch in den 1980er Jahren das vorherrschende Bild, gehört endgültig der Vergangenheit an. Galt Papua-Neuguinea spätestens in den 1960er Jahren als administrativ erschlossen und "befriedet", so hat der sukzessive Rückzug der paternalistisch und finanziell großzügig auftretenden Kolonialmacht Australien nach der Unabhängigkeit des Landes von 1975 zu einer Revitalisierung ethnischer Konflikte geführt.

Waren diese damals noch als Wiedergewinnung von Gruppenidentität und der Verstärkung tradierter Loyalitäten zu einem Zeitpunkt zu interpretieren, als Institutionen des neuen Staats noch keine Wurzeln gefasst hatten, ist ihnen heute -ein veränderter Kontext zuzuordnen. Wichtige Einflussfaktoren sind hierbei ein schwa-cher Zentralstaat, starke lokale Stammesgemeinschaften, der rücksichtslose Zugriff auf staatliche Finanzen, die exzessive Nutzung der westlichen Rechtsprechung und der Einsatz moderner Waffen.

Der Hintergrund der schlimmsten Stammeskämpfe des Hochlands in der Geschichte Papua-Neuguineas verdeutlicht, dass es nicht um vorkoloniale tribale Antagonismen geht. Es geht um die politische Vorherrschaft konkurrierender Führer ("big-men") und ihrer ethnischen Klientelgruppen. Diese zielt auf die Kontrolle staatlicher Budgets, die über große Öl- und Gasprojekte sowie Trans-fers aus der Haupt-stadt gespeist werden.

Hintergrund des Konflikts

0x08 graphic Den Beginn der Auseinandersetzungen in Papua-Neuguineas bevölkerungs- und ressourcenreichster -Provinz markieren die nationalen Parlamentswahlen von 1997 (Abbildung: Wahlplakate zu den Parlamentswahlen in Lae). Der amtierende Gouverneur der Provinz Dick Mune, ein Angehöriger der Nipa-Ethnie, wurde dabei durch den Huli-Vertreter Anderson Agiru abgelöst. Die umgehend eingereichte Klage des Verlierers wegen Wahlbetrugs des politischen und ethnischen Konkurrenten endete im Mai 1999 mit dem Tod Munes durch einen Verkehrsunfall auf dem Weg zum Gericht. Da mit dem Ableben des "big-man" die Wahlklage überholt und der potentielle Zugriff auf staatliche Ressourcen entfallen war, forderte der Clan Entschädigung von der Provinzregierung. Für den Tod sei der jetzige Amts-inhaber verantwortlich, so die Argumentation der Hulis, da Mune als amtierender Gouverneur noch leben würde.

Die Provinz versank für Monate in Anarchie. Angesichts der Gewalt trat die Provinzregierung den Rückzug in die Nichtpräsenz an. Staatliche Einrichtungen waren geschlossen, die Straßen blockiert. Erst die außerbudgetmäßige Übergabe von 313.000 Kina (damals 120.000 US $) an Munes neun Witwen und den Clan durch Gouverneur Agiru ermöglichte im September 1999 die teilweise Rückkehr zur Normalität. Die ablehnende Entscheidung des Verfassungsgerichts, die Klage gegen den Konkurrenten durch den Austausch von Munes Namen durch den eines nahen Verwandten fortsetzen zu dürfen, schien dann den Konflikt ganz beizulegen. Die Mitte letzten Dezember durch ein Leadership Tribunal angeordnete Suspendierung des amtierenden Provinzgouverneurs entfachte nun den Konflikt neu, er-schien doch die Ausgangslage wieder reversibel. Agiru ist des zwölffachen Fehlverhaltens im Amt überführt worden. Eine über Jahre fehlende Rechnungsführung, der nicht lizenzierte und öffentlich zur Schau gestellte Besitz eines US-Schnellfeuergewehrs und tätlicher Angriff wurden ihm nachgewiesen.

Die Auseinandersetzungen in und um die Provinzmetropole Mendi wurden nicht nur gewalttätig geführt, sondern auch vor Gericht. Ernennungen und Gegenberufungen sowie Klagen und Gegenklagen der unterschiedlichen ethnischen Fraktionen standen über mehrere Monate auf der Tagesordnung. Neben suspendiertem Gouverneur, amtierendem Stellvertreter und zwei weiteren Aspiranten aus Port Moresby konkurrieren derzeit vier Verwaltungschefs (nach dem Gouverneur die wichtigste administrative Position in der Provinz), fünf Stellvertreter und zahlreiche Abteilungsleiter um die Posten. Fast alle stehen auf der Gehaltsliste der Provinz, deren Konten in einem Fall innerhalb nur weniger Stunden leer geräumt wurden.

Ende Januar hat sich die nationale Regierung in den Konflikt eingeschaltet. Dort ist die Forderung eines aus der Provinz stammenden Ministers nach Ausrufung des Ausnahmezustandes abgelehnt worden, der die Entsendung der Armee erlauben würde. In guter Erinnerung ist in der Haupt-stadt der 1988 in kürzester Zeit zu einem blutigen Bürgerkrieg eskalierte Konflikt auf der Kupferinsel Bougainville, in dem über 10.000 Menschen den Tod fanden. Vor 6.000 Hulis und in Anwesenheit des suspendierten Gouverneurs wurden nun von der Zentralregierung 400.000 Kina als "Zeichen des guten Willens" übergeben, offiziell die erste Kompensationszahlung für eine gerade jetzt anstehende 60 Millionen Kina teure -Modernisierung eines Provinzflughafens.

Die gewählten Präsidenten der vier kommunalen Regierungen (neben nationalem und 19 Provinzparlamenten existieren landesweit weitere 284 "local-level governments") sahen das Friedensangebot anders. Präsentiert wurde eine Petition, die im Namen von 100.000 Hulis die umgehende Wiedereinsetzung ihres Führers verlangt. Falle ihre Forderung in der Haupt-stadt auf taube Ohren, wurde mit der Schlie-ßung der großen Öl- und Gasprojekte Hides, Moran, Bakari, Gobe und Kutubu in der Provinz gedroht. Die Petition endet mit den selbstbewussten Worten:

"We will not entertain any unnecessary action or decisions that will downplay our pride, dignity and respect. We do not want to let others dictate the direction of our lives" (Post-Courier 28.01.2002).

Merkmale einer Militarisierung gesellschaftlicher Konflikte

Stammeskriege waren - darin sind sich die Ethnographen einig - im Hochland von Papua-Neuguinea historisch weitgehend endemisch, jedoch zeitlich und hinsichtlich der Zahl der Opfer begrenzt. Sie wurden in den politisch instabilen, weil permanenter Führungskonkurrenz ausgesetzten kleinen sozialen Einheiten als legitime Strategie angesehen, unvorteilhafte Ergebnisse zu revidieren. Es ging um eine endlose Serie von politischen Kompromissen, die eine finale Entscheidung nicht kennt.

Neu ist, und dies spiegelt sich auch landesweit in der hohen Kriminalität wider, die Härte und Brutalität, mit der Konflikte ausgetragen werden. Bisher mit Stammeskämpfen verbundene tradierte Regeln und Tabuzonen scheinen überholt. Waren in der Vergangenheit wenige Verletzte oder Tote das Resultat lokaler Zusammenstöße, sind von Mitte Dezember bis Ende Februar allein in diesem Konflikt mehr als 200 Tote und Hunderte Verletzter zu beklagen. Die materiellen Schäden gehen in die Millionen. Betroffen von dieser regelrechten Barbarisierung der Kampfweise sind auch Frauen und Kleinkinder, die Opfer von pay-back und selbst Zerstückelungen werden.

0x08 graphic Hauptgrund der hohen Opferzahlen ist die sich ändernde Bewaffnung der Clans (Abbildung: Hochland"krieger" mit Wahlplakat und traditioneller Bewaffnung). Bestand diese bisher aus einem Sammelsurium aus selbstgebauten Flinten, Gewehren des Zweiten Weltkriegs, Pfeil und Bogen sowie Äxten, zählen nun nach Angaben des Polizeikommandeurs des Hochlandes auch Maschinengewehre, Granatwerfer, Sturmgewehre und Pistolen dazu.

Das moderne Arsenal, je Stück für bis zu 10.000 Kina -von Politikern und Geschäftsleuten ge-handelt, stammt nach Analyse des Direktors des Nationalen Geheimdienstes NIO aus Einbrüchen der Waffenkammern von Polizei und Streit-kräften, von der Insel Bougainville und aus dem indonesischen Westpapua. Hinzu soll der großangelegte Tauschhandel von Marihuana gegen Waffen über die Torres-Straße mit Australien kommen (10 Kilogramm "PNG Gold" entsprechen danach einem M-16 Gewehr).

Die aus anderen Hochlandprovinzen und der Hauptstadt zu Hilfe gerufenen polizeilichen Elitetruppen von 300 Mann waren angesichts der Übermacht der Clans zu bloßen Beobachtern degradiert ("out-gunned"). Die im Land wegen fehlender Disziplin und exzessiver Gewaltanwendung gefürchteten Polizisten hatten sich einstweilen in die verwaisten Baracken des Zentralkrankenhauses von Mendi zurückgezogen.

Der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz, Stephen Reichert, warnte die Zentralregierung vor Söldnern ("guns-for-hire"), die sich an den meistbietenden Clan verdingen. Angesichts der nur wenige Monate entfernten nationalen und lokalen Parlamentswahlen sieht der Bischof wie auch andere Beobachter eine sich durchsetzende "gun-culture", die im ganzen Hoch-land einen Flächenbrand auslösen könnte, der einer menschlichen Tragödie gleichkomme. Selbst Massaker an ganzen Clans werden danach nicht mehr ausgeschlossen.

Reformbemühungen der Regierung Morauta

Während sich im Südlichen Hochland rechtsstaatliche Bedingungen über Monate aufgelöst zu haben scheinen, ist der Alltag in der Haupt-stadt Port Moresby von Normalität geprägt. Mehr noch regiert ein Premierminister, der von Weltbank-Präsident James Wolfensohn als bester Führer seines Landes gepriesen wird. Auch die sogenannten "friends of PNG", darunter Australien und die Europäische Union als wichtigste internationale Geldgeber vor Japan und China, sind davon überzeugt, dass Sir Mekere Morauta als einziger dazu imstande ist, das Land auf den Pfad der politischen und wirtschaftlichen Stabilität zurückzuführen.

Und tatsächlich sind die Reformbemühungen des im Kontext eines Misstrauensvotums im Juli 1999 an die Macht gelangten Mekere Morauta beeindruckend. Erstmals in der Geschichte Papua-Neuguineas ist der Versuch zu beobachten, zentrale politische und administrative Struk-turen zu modernisieren, um damit eine weitere Zerrüttung staatlicher Institutionen abzuwenden. Die Reduzierung der Inflations- und Zinsraten, die Erhöhung der Devisenreserven, die Stärkung der Unabhängigkeit der Zentralbank und der Tendenz nach ausgeglichenen Budgets sowie die Verringerung des jedem Abgeordneten zustehenden, als Schmier-geldtopf verrufenen, "District Development Program" um 89 Millionen stehen auf der Positivliste.

Hinzu kommt die erstmalige Durchführung eines Strukturanpassungs-programms des Internationalen Währungsfonds (IWF), das auf verbesserte Exekutivstrukturen ("good governance"), die Privatisierung ineffizienter und insolventer Staatsunternehmen und einen Stopp der Plünderung der tropischen Regenwälder zielt. Zudem ist Ende März der Insel Bougainville die weitgehende, durch Verfassungsänderung abgesicherte Autonomie und ein Unabhängigkeitsreferendum durch das nationale Parlament zugestanden worden, ein bedeutender Schritt hin zur nationalen Versöhnung.

Doch die Erfolge und die diesbezügliche internationale Anerkennung finden im Land selbst wenig Resonanz. Nicht nur hat sich das gesellschaftliche Klima kaum verändert, das durch eine stagnierende Volks-wirtschaft, wachsende Armut und hohe Kriminalitätsraten gekennzeichnet ist. Schwerer -wiegt der allgemeine Vertrauensverlust aufgrund der Privatisierungspolitik, welche die Zivilgesellschaft und selbst die wenigen als integer geltenden Politiker gegen Regierung, IWF und Weltbank auf die Barrikaden treibt (wie etwa den früheren Premier Sir Rabbie Namaliu). Sie wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzogen und legt gerade deshalb die allseits bekannten korrupten Deals der Vorgängerregierungen nahe.

Ungeklärt bleibt, wie sich die Privatisierung der staats-eigenen PNG Banking Corporation (jetzt Bank of South Pacific), der Post und Telikom, der Elektrizitäts- und Wasserbehörde sowie der nationalen Fluglinie Air Niugini und weiterer 21 kleinerer Behörden in den ländlichen Regionen auswirken wird. Dort lebt die Mehrheit der Bevölkerung, die schon bisher bei staatlichen L-eistungen gegenüber der Hauptstadt benachteiligt war. Offensichtlich ist, dass die Zentralregierung nicht gewillt oder fähig ist, die zumeist durch Missmanagement und Korruption gekennzeichneten Unternehmen zu reglementieren. Der Verkauf erscheint als schneller Weg, sich der Probleme zu entledigen.

Hinzu kommen erhebliche Zweifel am Erfolg der politischen Reformbemühungen, die auf mehr politische Stabilität zielen. Die von Morauta forcierten Gesetze sehen die Stärkung und staatliche Finanzierung der bisher unbedeutenden Parteienlandschaft -auf Kosten unabhängiger Abgeordneter vor. Folge sind nun 43 Parteien, die an der kommenden Wahl teilnehmen. Wie angesichts dieser Bedingungen das ab 2007 wirksame Präferenzwahlrecht umgesetzt werden soll, ist unklar. Schon bisher war die nationale Wahl-kommission nicht dazu imstande, die Korrektheit des heute noch gültigen einfachen Mehr-heitswahlrechts landesweit zu garantieren.

Auch in Erinnerung zu rufen ist, dass Morauta wie viele seiner Minister dem Kabinett des Vorgängers Bill Skate angehörte. Die nur zweijährige Amtszeit des Populisten Skate wird aufgrund der Missbrauchsskandale als Tiefpunkt bisherigen Regierens angesehen. Die fast monatlichen Revirements der Kabinettsposten zwecks Stabilisierung der fragilen Koalition unterscheiden sich hier nur unwesentlich von Skates Regierungszeit.

Unrühmlich ist auch der Macht-kampf um die Provinzregierung der Hauptstadt, um die zwischen Kabinett und Abgeordneten um Skate erbittert gerungen wurde. Die nur innerhalb weniger Tage im Parlament verabschiedete (und vom Verfassungsgericht umgehend widerrufene) und dann erneut durchgesetzte Abschaffung des Parlaments zugunsten einer von der Zentralregierung ernannten Hauptstadtkommission zeugt von geringen demokratischen Überzeugungen. Schwer wiegt auch die siebenmonatige Aussetzung von Parlamentssitzungen, die ein weiteres Misstrauensvotum verhindern sollte.

Die in der Hauptstadt wie dem Südlichen Hochland beobachtbaren Auseinandersetzungen um die Schalthebel der Macht finden ebenso in anderen Provinzen statt. Um 88 der 109 Parlamentssitze wurde teilweise über Jahre vor Gerichten gestritten, waren die Verwaltungen paralysiert oder in die politischen Rivalitäten verstrickt. Vier Provinzregierungen sind vom Kabinett Morauta suspendiert worden, ohne allerdings dem Parlament Belege für die behauptete Korruption vorzulegen. Auch der Tod von vier Menschen durch Polizeischüsse bei Studentenunruhen im Juni 2001 gegen die Weltbank, von Morauta als "tragic loss of innocence by the nation" (National 02.01.2002) charakterisiert, bleibt bis heute ohne Konsequenzen.

Ausblick

Seit Mitte März sind die Kämpfe im südlichen Hochland abgeflaut, was nur zum Teil auf die ausgehende Munition der Kombattanten zurückzuführen ist. Im Gegensatz zu den abgetauchten Abgeordneten der Provinz haben sich vor allem hohe Kirchenführer mit Unterstützung von Frauengruppen für einen Frieden eingesetzt. So hatte der Bischof der United Church, Clarence Kapali, angekündigt, alles Kircheneigentum niederzubrennen und die Provinz zu verlassen, sollten die Konfliktparteien das schließlich am 14. März unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen ablehnen. Dieses sieht bis zum Abschluss eines Friedensvertrags den Rückzug aller "Söldner" und verbündeten Clans, die Einstellung krimineller Aktivitäten und die Kooperation mit der Polizei vor.

Zudem ist bei den Kontrahenten mittlerweile der Wahlkampf in den Vordergrund der Aktivitäten gerückt. Der Sohn von Ex-Gouverneur Mune verzichtete zugunsten des mäch-tigen Chiefs der Landbesitzer des Kutubu-Ölfeldes, Hami Yawari, auf eine Nominierung, um eine Stimmensplittung unter den Nipa-Clans zu verhindern. Zurückgewonnen werden soll der Gouverneursposten, um den sich auch der abgesetzte Amts-inhaber Agiru bewirbt. Eine neue Runde im Machtkampf der konkurrierenden Gruppen scheint eingeläutet.

Die Zentralregierung wird sich ebenfalls bemühen, über weitere Kompensations-zusagen den labilen Frieden in der Region abzusichern. Zu viel steht für sie auf dem Spiel. So ist in der Provinz ein 3,5 Milliarden US $ teures Erdgasprojekt mit Pipeline in das australische Queens-land -geplant, das Ökonomie und Staatshaushalt in den kommenden Jahrzehnten auf derzeitigem Niveau halten soll.

Ob sich allerdings landesweit die Profanisierung von Gewalt sowie Instabilität und Marginalisierung zugunsten einer Zivilisierung und Demokratisierung der Gesellschaft aufhalten und umkehren lassen, ist mehr als fraglich. Was dem Land primär fehlt sind glaubwürdige Politiker, die über Eigeninteressen und ethnische Loyalitäten hinausgehend die Belange der Bevölkerungsmehrheit vertreten. Einzelne wie eben Premier Morauta werden sich hier selbst mittelfristig kaum halten können. Insofern stimmen die Parlamentswahlen im Juni eher skeptisch, stehen dann möglicherweise wieder die wenigen Reformerfolge zur Disposition.

Deutlich wird, dass politische und kulturelle Faktoren aus der im Hochland kaum 50 Jahre zurückliegenden vormodernen Epoche weit resistenter sind als angenommen. Der schleichende Verfall des kolonialen Erbes schreitet fort, da der Staat aufgrund der klientelen Verwobenheit seiner Repräsentanten sich außerhalb der Städte kaum in der Lage sieht, Konflikte zu moderieren und Gewalt zu sanktionieren. Die Etablierung einer westlich geprägten modernen Staatlichkeit in der mit über 820 Sprachgruppen hochgradig fragmentierten Gesellschaft steht stärker in Frage denn je. Eine landesweit kaum entwickelte kollektive Identität sowie die schwin-dende Gestaltungsmacht und das unzureichende Monopol legitimer staatlicher Gewalt in Teilen des Hoch-landes und in Bougainville sind hier Beleg.

In den meisten Provinzen vollzieht sich dagegen die vor 30 Jahren mit dem Rückzug der Kolonialmacht einsetzende Durchdringung politisch-administrativer Institutionen durch lokale soziale Kräfte, die der britische Kriminologe Sinclair Dinnen in Anlehnung an Jürgen Habermas als Kolonisierung des Staates durch die melanesische Lebenswelt interpretiert. Mit dem französischen Politologen Jean-Francois Bayart ließe sich auch von einer "Kriminalisierung des Staates" sprechen, die dieser auf die Klientelgesellschaften Afrikas bezog. Die Legitimität des Staates Papua-Neuguinea er-scheint heute immer mehr extern begründet, ein Überleben nur durch Auslandsinvestitionen und Entwicklungstransfers gesichert.

(Anmerkung: Ungereimtheiten in der Berichterstattung sind nicht auszuräumen. Statt der Sprachgruppe der Huli finden sich in den Meldungen über das Südliche Hochland die Begriffe Hula und Hela. Der Name Nipa steht eigentlich für einen Distrikt der Provinz, dem mehrere Ethnien zuzuordnen sind.)

Literatur:

Sinclair Dinnen: Law and Order in a Weak State. Crime and Politics in Papua New Guinea. Honolulu 2001

Michael Rynkiewich und Roland Seib (Hg.): Politics in Papua New Guinea: Continuities, Changes and Challenges. Goroka 2000

Quelle:

Der Beitrag erschien zuerst leicht verändert in der Göttinger Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft für Pazifische Studien e.V. Pacific News, Nr. 18/2002, S. 12-15.

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