Guam, eine "unsichtbare Kolonie" der USA im Pazifik

20.06.2007: Die Chamorro kämpfen gegen noch mehr Militär auf ihrer Insel

Guams Lage im Pazifik

Ein Blick auf die Karte kann die außerordentliche militärstrategische Bedeutung der Insel Guam inmitten des riesigen Pazifischen Raumes klar machen.

Guam gehört geographisch zu der Inselregion Mikronesien und liegt ungefähr 5.300 km westlich von Hawaii, 2.400 km östlich der Philippinen und 2.500 km südlich von Japan. Es ist die ideale Drehscheibe für die USA, um mit Marine und Luftwaffe den asiatisch-pazifischen Raum zu beherrschen. Guam ist ungefähr 48 km lang und 14,5 km breit, seine Hauptstadt heißt Hagåtña.

Seit dem Sieg der USA über Spanien im Jahre 1899 steht die Insel Guam unter US-amerikanischer Verwaltung. Den ersten europäischen Kontakt mit ihr hatte der portugiesische Seefahrer Magellan, der für die spanische Krone diese Region der Welt erkundete. Deshalb beanspruchte seit 1565 Spanien die Insel für sich. Ab 1668 missionierten dort Jesuiten und versuchten die Bevölkerung für den katholischen Glauben zu gewinnen. Sie änderten den Namen in Marianen, nach Marianne von Österreich, der Witwe von Spaniens König Phillip IV. Guam wurde damals für die spanische Flotte der Umschlagplatz zwischen den Philippinen und Mexiko.
Am 8. Dezember 1941, einen Tag nach dem Angriff auf Pearl Harbor, wurde Guam von den Japanern erobert und blieb bis zum Juli 1944 unter deren Kontrolle. Am 21. Juli 1944 begann die Schlacht um Guam mit der Landung US-amerikanischer Truppen und endete am 10. August mit dem Sieg der US-Amerikaner. Die Niederlage der Japanischen Armee durch die Rückeroberung von Guam durch die US-Truppen war für Japan ein mit Stalingrad vergleichbarer Wendepunkt im pazifischen Krieg, der seine Niederlage im Zweiten Weltkrieg einleitete.

1949 unterschrieb US-Präsident Harry S. Truman den Organic Act, ein Gesetz, das Guam zu einem externen Territorium der USA mit sogenannter "innerer Autonomie" machte. Praktisch heißt das: Die Inselbewohner leben auf US-amerikanischem Boden ("U.S. Territory of Guam"), sie haben aber kein Stimmrecht in Bundesangelegenheiten.

Zur Zeit leben auf Guam ungefähr 154.800 Menschen, davon etwa 37 % indigene Bevölkerung. Sie nennen sich Chamorro. In dem Namen steckt das Wort Moro; im Deutschen kennen wir das Wort "Mohr": Bereits die Spanier bezeichneten sie so wegen ihrer schwarzen Haut. Die Sprache der Chamorro ist ein kreolischer Mix aus Spanisch, Mikronesisch und asiatischen Elementen. Ihr Land, ihre Insel nennen sie Guåhån.


Die strategische Verlegung von mehr als 8000 US-Marinesoldaten von Okinawa (Japan) auf die Insel Guam bringt für die dortige indigene Bevölkerung der Chamorro nur Vertreibung und Schikane mit sich. Sie fürchten um den Bestand ihrer Kultur. Mit der Wut der Verzweiflung widersetzen sie sich.

Im Jahre 2005 gab die japanische Regierung bekannt, sie habe sich mit den USA darauf geeinigt, daß einige tausend US-Soldaten von Okinawa abgezogen werden. Wohin, z.B. ob nach Australien oder Taiwan, blieb zunächst völlig offen. Durch den nun bekannt gewordenen militärischen Finanzplan des Pentagon für den Pazifischen Raum ist klar: Sie sollen auf die Insel Guam verlegt werden. Der Finanzplan des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums enthält einen Betrag von 345 Mio. US-Dollar für militärische Baumaßnahmen auf Guam allein im Jahr 2008. Die Werft der Flottenbasis soll für 102 Mio. US-Dollar verlängert werden. Der Ausbau des elektrischen Systems der Marinebasis soll 59 Mio. US-Dollar kosten. Für Marinenagehörige werden Wohnungen für 57 Mio. US-Dollar errichtet und Sportanlagen für 45 Mio. US-Dollar. Für die Reparatur und den Ausbau der Kläranlagen stehen 41 Mio. US-Dollar, für ein mobiles Wasserverteilungssystem in der ersten Phase 31 Mio. US-Dollar zur Verfügung. Die Infrastruktur des Nordwestfeldes der Anderson Luftwaffenbasis wird für 10 Mio. US-Dollar ausgebaut.

Die Verlegung der US-Marines ist Teil der Neuordnung der Allianz zwischen den USA und Japan. Dies wurde von der US-Außenministerin Condolezza Rice und dem Japanischen Außenminister Taro Aso im Mai 2006 bestätigt. Den Erfordernissen dieser neuen Strukturen sollen die US-Basen in Japan und im Pazifik angepaßt werden. Dies wird voraussichtlich bis 2012 abgeschlossen sein. Aus Japanischer Sicht geht es darum, daß "sehr wertvolles Land auf Okinawa den Japanern zurückgegeben" wird. Die Bedrückung, die die japanische Bevölkerung für die jahrzehntelange Stationierung von US-Streikkräften auf Okinawa erfahren hat, fällt weg, weil sie endlich die seit 1945 währende Besatzung los werden. Andererseits: Zu weit von Japan entfernt sollen die US-Truppen aber auch nicht sein. Die Insel Guam mit ihren US-Basen ist gerade noch nahe genug, um Japan z.B. gegen befürchtete Angriffe der Volksrepublik China verteidigen zu können. Der Umzug der amerikanischen Marinesoldaten wird voraussichtlich etwa 10 Mrd. US-Dollar kosten. Japan hat sich verpflichtet davon 6 Mrd. US-Dollar zu zahlen.

Während die Ankündigung der Truppenverlegung für die Geschäftswelt auf Guam gute Nachrichten sind, nennen die Chamoru diese Milliarden von Dollars den "Preis des Todes ihrer Kultur und Identität". Die Opposition gegen die Truppenverlegung wird angeführt von der "Guahan Coalition for Peace and Justice", der "Vereinigung für Frieden und Gerechtigkeit für Guahan". Sie versucht, die Aufmerksamkeit der Welt auf ihre Notlage zu lenken.

Frau Lisalinda Nativdad von der Gruppe "Guahan Coalition for Peace and Justice" liefert dafür einige wichtige Argumente: "Ursprünglich war die Zahl der Soldaten, die verlegt werden sollen, mit 7000 angegeben. Dann 8000. Jetzt möglicherweise mit 16.000. Wenn Angehörige und Hilfspersonal mit eingerechnet werden, kann das die Bevölkerung schnell um 55.000 anwachsen lassen. Ein Bevölkerungszuwachs von mehr als einem Drittel". Lisalinda Nativdad und ihre Organisation sind hartnäckige Gegner der Truppenverlegung. Sie schafften es, im Oktober vergangen Jahres bei den Vereinten Nationen vor dem "United Nations Special Political and Decolonization Committee" vorstellig zu werden. Sie äußersten dort ihre Befürchtung, daß die US-amerikanischen Pläne den Niedergang ihrer indigenen Kultur bewirken könnten. Ein Schaden, der nie wieder gut gemacht wäre. Damit würden ihre politischen Rechte weiter untergraben werden.

Nach ihrer Rückkehr berichtete die Gruppe, ihre Erklärung habe den Sekretär für Politische Angelegenheiten bei der UNO, Ibrahim Gambari, so beeindruckt, daß es sogar zu einem Treffen mit den Vertretern von "Guahan Coalition for Peace and Justice" kam. In dem Gespräch habe Gambari erklärt, er sei vom Recht auf Selbstbestimmung der Chamoru überzeugt. Eine Resolution in diesem Sinne werde aber in der UNO niemals beschlossen werden. Die USA würden dagegen sofort ihr Veto einlegen. Gambari sprach aber die Empfehlung aus, daß ein Vertreter der UNO die Insel Guam besuchen solle. Der würde dann offiziell über die Situation des Landes berichten, um so das Land "aus dem Status einer unsichtbaren Kolonie" zu bringen. Für das Volk der Chamorro und seine sozialen Strukturen, so Frau Lisalinda Nativdad, bringe die Truppenverlegung eine Unmenge von Problemen. Sie argumentiert: "Der Verkehr wird zunehmen, die Infrastruktur der öffentlichen Versorgungsbetriebe ist jetzt schon überstrapaziert. Der Zuzug des Militärpersonals wird die Preise für Grund und Boden und somit die Mieten steigen lassen, wodurch die indigene Bevölkerung von Land und Eigentum im eigenen Heimatland verdrängt werden".

Die Chamorro fürchten die Folgen großer Umweltschäden. Frau Lisalinda Nativdad wirft der US-Regierung vor, daß sie die Sorgen der Bevölkerung über die Umweltgifte ignoriert. In den Häfen von Guam wird PCB, Agent Orange und Purple, alles "Entlaubungsgifte" aus dem Vietnamkrieg, gefunden. Überall auf der Insel gibt es illegale Müllkippen der Militärs. Immer noch ist die Insel radioaktiver Strahlung ausgesetzt, die von Schiffen stammt, die 1970 in Häfen von Guam gesunken sind. Aber ebenso bringen immer wieder Winde atomare Strahlung nach Guam, die von den Atombombentests in Mikronesien in den Jahren seit 1950 stammen. Diese schlimme Umweltverschmutzung hat eine wesentlich höhere Krebsrate, verglichen mit den USA, unter den Chomoru zur Folge.

Und Frieden und Sicherheit garantiert die Anwesenheit der US-Truppen auch nicht. Im Rahmen der Strategie des US-Militärs ist die Insel Guam als "Ort des ersten Schlages" definiert. Daher, so die Vertreterin von "Guahan Coalition for Peace and Justice", ist Guam durch die US-Militärpräsenz ebenso gefährdet wie im Zweiten Weltkrieg. Damals wurde Guam einen Tag nach Pearl Harbor überfallen. Die USA hatten Guam innerhalb von nur zwei Tagen kampflos aufgegeben. Viele Chomoru starben unter den Bomben der Japaner; aber ebenso viele, als in der Schlacht um Guam die Insel durch die US-Truppen zurückerobert wurde.

Dennoch: Die örtliche Regierung auf Guam glaubt, die Verlegung der US-Marines samt ihrem Anhang sei ein "ökonomisches Wundermittel", wodurch die örtliche Wirtschaft wiederbelebt werden könne. Aber, so Frau Lisalinda Nativdad, "echte Wissenschaftler wissen, daß Militarisierung nicht zur ökonomischen Stabilität führt". Die Vertreterin der Chamoru wundert sich nicht, daß bislang keine Untersuchung zu den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Anwesenheit von Militär auf Guam gemacht worden ist. Ist doch die US-amerikanische Besatzung auf Okinawa abschreckendes Beispiel genug: Kriminalität, Vergewaltigungen und Belästigung der Bevölkerung durch US-Militärangehörige sind dort an der Tagesordnung.

Frau Lisalinda Nativdad kündigte an, ihre Gruppe werde die Kampagne gegen die US-Militärpräsenz und die Verlegung von Soldaten nach Guam solange weiterführen, bis sie Gehör finden. Ihren Kampf müssen sie unter ihren besonderen, komplizierten Bedingungen führen. Guam ist "nicht-inkorporiertes US-Territorium". Dadurch hat die Bevölkerung zwar die US-Bürgerschaft, sie sind aber Bürger ohne Stimmrecht. Sie haben nicht das Recht, die von der US-Bundesregierung vorgegebene Politik vor Ort mitzubestimmen. Selbst der Abgeordnete von Guam hat im Kongreß kein Stimmrecht. Er kann in Washington nur Lobbyarbeit machen.

Zur Zeit sammelt die Gruppe "Guahan Coalition for Peace and Justice" Unterschriften für eine Petition an die UNO und den US-Präsidenten gegen die Truppen-Verlegung. Sie haben einen Aufkleber entwickelt mit dem Text: "8000? Wie wird das unser Leben verändern?" um die Diskussion zu entfachen. "Am wichtigsten aber ist", sagt Lisalinda Nativdad, "wir provozieren die Menschen mit der kritischen Frage: Wenn die Anwesenheit von US-Marines eine solche gute Sache für Guam ist, warum ist dann Japan bereit, sechs Milliarden US-Dollar dafür zu zahlen, um sie los zu werden?"

Karl-Helmut Lechner


Quelle: Islands Business, March 2000 Die Petition der Chamorro: www.petitiononline.com/haleta/petition.html