Drohung mit Atomwaffen ist völkerrechtswidrig!

05.07.2006: Das Pazifik-Netzwerk erinnert an die völkerrechtliche Verurteilung der Drohung eines Atomwaffeneinsatzes vor 10 Jahren

Lijon Eknilang

Am 8. Juli vor zehn Jahren hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag ein Urteil gefällt, das bis heute nicht genügend Aufmerksamkeit gefunden hat. Die Kernaussage des Richterspruchs lautet: "Die Androhung des Einsatzes und der Einsatz von Atomwaffen verstoßen generell gegen das Völkerrecht und im besonderen gegen die Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts."

Bei den öffentlichen Anhörungen des Gerichts im Herbst 1995 hatte auch Lijon Eknilang als Vertreterin der Marshall Islands Zeugnis abgelegt. Lijon Eknilang stammt vom Pazifik-Atoll Rongelap, das im Jahr 1954 vom Fall-out der US-amerikanischen Wasserstoffbombe „Bravo“ (mit der tausendfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe) schwerst radioaktiv verseucht wurde. Vor dem IGH in Den Haag berichtete Frau Eknilang über die gravierenden Gesundheitssschäden der ehemaligen Rongelap-Bewohner, über Schilddrüsenkrebs, zahlreiche Todesfälle durch Leukämie und andere Krebserkrankungen, über Fehlgeburten und über extreme Missbildungen bei Neugeborenen („monster babies“).


Dass es zu diesen Anhörungen und einem gerichtlichen Gutachten in Den Haag kam, ist drei Nichtregierungsorganisationen zu verdanken. Im Mai 1992 hatten die Internationale Ärztevereinigung (IPPNW), die Juristenorganisation IALANA und das IPB (International Peace Bureau) ein Zweckbündnis geschlossen mit dem Ziel, einen Richterspruch zu der Frage herbeizuführen, ob angesichts der Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt die Anwendung von Atomwaffen mit dem geltenden Völkerrecht vereinbar ist. Der eingeschlagene juristische Weg führte zunächst über die Weltgesundheitsorganisation (WHO), deren Antrag der IGH jedoch aus formalen Gründen abwies. Im Lauf der weltweiten Kampagne des Friedensbündnisses, dem sich insbesondere Vertreter der sog. blockfreien Staaten angeschlossen hatten, kam es 1994 zu einer Resolution der UN-Generalversammlung, beim IGH die Prüfung der Völkerrechtsmäßigkeit des Einsatzes von Atomwaffen und der Androhung eines solchen zu beantragen.

Die am 8. Juli 1996 verkündete Entscheidung über die Völkerrrechtswidrigkeit von Androhung und Gebrauch von Nuklearwaffen begründete der IGH vor allem mit den spezifischen Eigenschaften von Atomwaffen, aufgrund derer die wichtigsten Regeln des humanitären (Kriegs-) Völkerrechts nicht eingehalten werden könnten:

  • Jeder Einsatz von Waffen muss zwischen kämpfender Truppe und der Zivilbevölkerung unterscheiden;
  • unnötige Grausamkeiten und Leiden müssen vermieden werden;
  • unbeteiligte und neutrale Staaten dürfen nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

Offen gelassen hat der IGH allerdings die Völkerrechtswidrigkeit eines Atomwaffeneinsatzes im Falle einer existenzgefährdenden extremen Notwehrsituation. Aber auch dann, wenn das Überleben eines Staates auf dem Spiel steht, könnte, so der IGH, ein Atomwaffeneinsatz nur völker-rechtsgemäß sein, wenn die Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts beachtet werden.

In seinem Gutachten stellt der IGH jedoch fest, das bei den Anhörungen keiner der atomwaffen-befürwortenden Staaten Bedingungen darlegen konnte, unter denen ein Einsatz gerechtfertigt sein könnte. Im Richterspruch wird außerdem auf die völkerrechtliche Verpflichtung zu nuklearer Abrüstung hingewiesen.

Ingrid Schilsky,Hamburg

Quellen: