Eine Stellungnahme des Pazifik-Netzwerk-Vorstands zum "Weltspiegel"
17.11.2024: ARD; Sonntag, 17.11, 18:30 h "Papua-Neuguinea extrem: Hölle oder Paradies?"
Jetzt Sonntag wird DAS ERSTE im Weltspiegel eine Doku namens Papua-Neuguinea extrem: Hölle oder Paradies? zeigen. Die Sendung läuft um 18:30 und wird um 23:35 wiederholt. Die ARD-Mediathek wird den Film ab Samstag 18:30 zeigen. Ich habe ihn schon gesehen, weil ich durch das NDR-Medienmagazin ZAPP gestern dazu interviewt wurde. Die Dokumentation zeigt Papua-Neuguinea, genau genommen Gewalt in Papua-Neuguinea, immerhin 43:30 Minuten lang.
Eine Vorankündigung zum Film informiert uns, dass ARD-Korrespondent Florian Bahrdt und sein Team sich auf eine Reise ‚ans Ende der uns bekannten Welt‘ begeben haben. Es fallen Schüsse bei Kämpfen verfeindeter Straßengangs, sie durchwandern bislang unberührten Regenwald und sind zu Gast bei exotischen Hochzeitskulten. Alles reißerisch. Alles Zitat.
Die Doku fällt also in ein Genre wie ich es auch auf YouTube sehe, z.B. eine Reihe dort namens ‚Tödlichste Reisen‘, eine andere namens ‚World's Most Dangerous Cities‘, die in Port Moresby spielt. Es ist die Reisereportage eines Journalisten, von dem PNG zum allerersten Mal besucht wird, und das wird auch gesagt, dem im Grunde alle Vorkenntnisse fehlen. Was die Doku zeigt, gibt es natürlich, auch wenn es durch das Handeln des Reporters und die Kommentare noch dramatisiert wird und alle Klischees, die sich so angesammelt haben, gleich mitgeliefert werden. Das Bedürfnis im Anderen das Wilde, Unzivilisierte zu sehen wird kräftig bedient. Der Kontext, die Hintergründe werden nicht erklärt. Kurzum, die Doku hilft nicht wirklich, die Spannungen und die Situation dort in PNG zu verstehen. Sie bleibt wie ein Bericht aus einer fremden, unbegreifbaren Welt.
Die Vorankündigung präsentiert PNG als ‚krasses Land, gefährlich, exotisch, faszinierend und furchteinflößend. Reisen dort sind eine mühsame Strapaze und riskant. Die Einheimischen sind mit messerscharfen Macheten unterwegs, brutale Stammeskämpfe fordern täglich Tote und Verletzte. Überall drohen Raubüberfälle und Straßensperren.‘ Es ist eben ‚the land of the unexpected‘, ein Slogan, den seinerzeit die dortige Tourismusbehörde erfunden hat.
Von Florian Bahrdt, dem ARD-Korrespondenten, wird gefragt, warum PNG so ist wie es ist, doch trotz seines Blicks in unentdeckte, dunkle und gefährliche Ecken - dorthin, wohin sonst kaum jemand geht - fällt ihm dazu keine wirkliche Antwort ein. Ein wenig habe ich Mitleid mit dem Journalisten, dem die Sprachkenntnisse und die Erfahrung fehlen, um zu begreifen, was um ihn herum passiert. Weshalb bittet die Sendeanstalt ARD eigentlich keine lokalen PNG-Journalisten und Leute, die sich auskennen, solche Berichte zu liefern?
So wirklich weit in den unberührten Regenwald und in unentdeckte Ecken ist das ARD-Team auch nicht gekommen. Sie haben gerade mal eben wenige Tage die Hauptstadt Port Moresby, die Provinzhauptstadt Mount Hagen und das abgelegene Tari im Hochland besucht. Genug um PNGs Schotterpisten, Schlaglochstraßen und einige dreckige und überfüllte Märkte am Straßenrand kennenzulernen. Das ist durchaus alles entsetzlich, wenn so ein ARD-Team aus dem hochmodernen Singapur anreist. Sie haben wenig Zeit, doch genug, um Jugend-Gangs und kostümierten Menschen zu begegnen, um Schlägereien und Krawall in den Städten zu sehen, Straßenblockaden und Schüsse zu erleben, Polizeischutz zu benötigen. PNG ist halt wie die Hölle.
Die Schönheit des Landes wird auch nicht verschwiegen. Die kulturelle Vielfalt, die Artenvielfalt, atemberaubende Naturlandschaften und ländliche Idylle werden gezeigt; das Team ist zu Besuch im Dorf, wird einige Schritte in den Wald mitgenommen, kann ahnen wie das Land mal gewesen ist. Wie ein Paradies!
Szenen aus dem Alltagsleben an einer Grundschule zeigen ein wenig die Normalität, lassen auch örtliche Stimmen zu Wort kommen. Kontraste, Gegensätze werden gezeigt. Doch insgesamt werden die Konflikte und die Gewalt, die den Alltag von allen beeinträchtigen, in den Mittelpunkt gerückt. Sind es allein diese Sensationen, die einem Land wie PNG und seinen Menschen Beachtung verschaffen?
Die Vorankündigungen zum Film sind reißerisch, behaupten, dass dem Publikum authentische Einblicke geboten werden. Alles sei hautnah zu erleben. Das ist natürlich Quatsch. Die Reportage ist ein Road Movie mit beeindruckenden Bildern, doch sie erklärt nichts. Hölle und Paradies sind abendländisch-europäische Begriffe, die von uns erfunden, nichts erklären. Zu Recht sagt ein Satz in den Texten zum Film, PNG sei ein Land des Staunens, und nicht (bloß) Hölle oder Paradies.
Es ist richtig. Gewalt gibt es in Neuguinea und eigentlich in ganz Melanesien heute viel zu viel: tribale Gewalt, häusliche Gewalt, Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Gewalt im Zusammenhang mit Hexerei-Zuschreibungen, Gewalt aufgrund von Binnenmigration sowie durch Streit um Grund und Boden, Gewalt durch ordinäre Kriminalität, nicht bloß in urbanen Zentren, sondern längst auch in ländlichen Räumen. Das alles hat Gründe und Hintergründe. Die ARD-Reportage meint, es sei Armut, die dies alles hervorrufe und die viel Gewalt verursache. Im Film heißt es: „Papua-Neuguinea ist an Rohstoffen reich, doch die Menschen profitieren davon nicht“. Genau das ist richtig. Doch Armut ist nicht die Ursache dieses Paradox.
Armut gab und gibt es in diesem Sinne in PNG überhaupt nicht. Die Menschen in den Dörfern lebten und leben traditionell selbstgenügsam, sie haben eben seit ewigen Zeiten keine Wasserleitungen und keinen Strom und vieles andere nicht, doch sie verhungern auch nicht. Sie haben Gärten, in denen Obst und Gemüse wächst. Sie gehen jagen, sammeln und fischen. Das alles mag steinzeitlich anmuten, doch Wellen an Gewalt verursacht es nicht.
Die Ursachen von Gewalt und Chaos haben andere Gründe und nicht wenige davon haben mit uns zu tun. PNG ist extrem rohstoffreich, doch die meisten Menschen dort sind lediglich Zaungäste des Ressourcenabbaus durch ausländische Konzerne. Es sind ‚unsere‘ Konzerne, die dort in PNG in großem Maßstab rücksichtslos den Wald abholzen, den Ozean abfischen und Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und Mineralien ausplündern. Und ansonsten wenig Interesse haben, dazu beizutragen, dass sich das Land sinnvoll entwickelt. Diese extraktive, neokoloniale Wirtschaftsweise bringt die Marginalisierung von großen Bevölkerungsteilen mit sich, deren Hoffnungen und Wünsche erst geweckt und dann frustriert werden, die verzweifeln, und dies schafft dann den Nährboden für das Chaos und die Probleme in Papua-Neuguinea. Doch die ARD-Doku thematisiert genau das nicht. Es wird erwähnt, dass China im Straßenbau tätig ist, doch die viel gewichtigeren Unternehmen aus den USA, Kanada, Australien, Südafrika und Südostasien spielen keine Rolle, auch nicht, dass Europa zu den größten Abnehmern von PNG-Rohstoffen gehört. Genau dies verursacht die großen sozialen Spannungen und Verwerfungen im Land und darf nicht unerwähnt bleiben, wenn die zunehmende Gewalt in PNG erklärt werden soll.
Das Problem ist also nicht Armut, sondern Marginalisierung. Die Geldwirtschaft, die überall Einzug hält und überall den Tausch ersetzt, eskaliert Konflikte und Rivalitäten zwischen den Stämmen, die nun statt mit Pfeil und Bogen mit selbstgefertigten und halb-automatischen Gewehren ausgetragen werden. Die Weltspiegel-Doku sagt zu den Stammeskämpfen, die es in Neuguinea gibt: „Es ist eine ewige Spirale, … die meisten haben nie gelernt, wie sie Konflikte gewaltfrei lösen könnten“.
Das allerdings stimmt auch nicht so ganz. Traditionell waren diese Fehden ein Mittel, um Konflikte ohne große Opferzahlen zu regeln. Viele Konflikte zwischen Clans und Stämmen wurden ja von vornherein friedlich beigelegt; bloß wo das nicht gelang, kam es zu ritualisierten Fehden, die jedoch auch stoppten und in Verhandlungen übergingen, um schließlich mit dem Austausch von Gaben zu enden und so oft den Frieden jahrzehntelang neu zu sichern. Fehden haben Störungen beseitigt. Sie dienten nicht dazu, andere zu unterwerfen, zu besiegen, selbst zu expandieren. Deshalb gab es vorkolonial auch keine Staatenbildung. Es gab eine große Anzahl Kleingesellschaften, die Seite an Seite in Balance existierten. Dies hat sich erst durch die modernen Waffen geändert, die heute überall verbreitet sind. Erst dadurch wurden traditionelle Stammesfehden zu erschreckend blutigen Ereignissen.
Die modernen automatischen Waffen sickern aus den Nachbarländern nach PNG ein. Die Städte, die sich zu Hot Spots an Kriminalität entwickelt haben, sind auch keine indigene Erfindung. Die Migration, die weiterhin zunimmt, ist durch die ungleiche Entwicklung verursacht, die mit den extern finanzierten Projekten, den Minen und anderen wirtschaftlichen Vorhaben Hand in Hand geht. Auch die Konflikte und Spannungen nehmen damit zu. Und ja, es gibt auch Ursachen, die in den gesellschaftlichen Verhältnissen im Land begründet sind, die dazu beitragen, dass es so viel Gewalt gibt. Die - wie es im Film einmal heißt - netten, gastfreundlichen Menschen in PNG leben heute in einem schwierigen Land.
Zurück zu uns. Bei uns in Hamburg lassen sich vom Turm des Michel die Schornsteine von Aurubis sehen, das ist Europas größte Kupferhütte. Als die Firma noch Norddeutsche Affinerie (im Volksmund ‚Affi‘) hieß, hat sie dem Michel ein neues Kupferdach spendiert (in Hamburg haben nahezu alle alten öffentlichen Gebäude und viele alte Firmengebäude so ein Dach). Aurubis ist bis heute stolz auf seine Großzügigkeit. Das Unternehmen hat eine kleine Ausstellung im Abgang vom Turm des Michel, dabei allerdings vergessen zu sagen, was Kupferabbau in den Lieferländern bedeutet.
Panguna, Ok Tedi und Porgera in Papua-Neuguinea sowie Freeport-McMoRan im benachbarten von Indonesien beanspruchten Westpapua sind Umweltkatastrophen und soziale Brandherde; Panguna hat einen folgenschweren Bürgerkrieg ausgelöst, Freeport und Porgera lösen bis heute laufend Gewalt aus. Bei Ok Tedi waren anfangs deutsche Firmen beteiligt (Degussa, Metallgesellschaft, Siemens), doch sie stiegen aus, als die Umweltschäden zu deutlich wurden. Große Mengen Kupfererz aus Neuguinea werden weiterhin nach Hamburg geliefert und bei uns verarbeitet und verbraucht. Aurubis wirbt mit dem Spruch ‚Metals for Progress‘, zeigt jedoch nicht die Kehrseite dieses Fortschritts: Das Elend und die Gewalt im Umkreis der Tagebauminen in den Abbauländern im Süden des Globus. Die Tagebauminen dort ziehen Hunderte, Tausende von Menschen an, die auch schnell reich werden möchten. Sie alle schürfen im Umkreis nach Gold und suchen nach Metallen. Zwischen ihnen und zwischen Zugewanderten und Ortsansässigen kommt es zu Streit um die Brosamen des Bergbaus und zu Gewalt.
Genau diese Zusammenhänge müssten angesprochen werden, um zu verstehen, wie sich die Situation in so einem Land wie Papua-Neuguinea so problematisch entwickeln konnte. Es sind nicht unzivilisierte Menschen dort, die dies herbeigeführt haben. Es sind äußere Kräfte, die ihnen dies aufgezwungen haben und den Menschen dort bleibt nichts als sich in diesen Verhältnissen so gut es geht einzurichten.
Text: Eckart Garbe, Vorstandsvorsitzender Pazifik-Netzwerk e.V.
Bildmaterial: © Julie Mota, Jane Wena, Winnie Weoa, Gazellah Bruder - alles Künstlerinnen aus PNG