BLICKPUNKT: Landrechte auf den Salomonischen Inseln

04.06.2001: Kurzinformationen aus dem Pazifik Nr. 7

von Fred Ludwig, Aalen

Landrechte? - Gibt es andere Rechte an Land als die bei uns in Mitteleuropa bekannten Formen? - Als die Formen des individuellen Besitzes an Land? - Und falls ja, welche Folgen erwachsen daraus für die betroffenen Personen, Länder und welche Bedeutung erwächst daraus für uns?

Aus Ländern Afrikas, Lateinamerikas, Asiens und Ozeaniens kommt immer wieder der Begriff des "traditionellen Landrechtes" zu uns. Auf den Salomonen, einer Gruppe von über eintausend Inseln und Inselchen im westlichen Südpazifik (nordöstlich von Australien gelegen) mit annähernd 400.000 Einwohnern, ist das traditionelle Landrecht (gleichberechtigt neben dem englischen Landrecht) Bestandteil des gegenwärtig geltenden Rechtsverständnisses, als solches in der Verfassung verankert. Doch was bedeutet "traditionelles Landrecht" ?

Land und das die Inseln umgebende Meer ist für die Menschen der Salomonen (und der gesamten Südseeregion) in erster Linie von traditioneller und mythologischer Bedeutung. Ihre Identität gründet sich durch ihre Geschichte an bestimmten Plätzen, ihre Vorfahren haben dort seit Jahrhunderten gelebt und sind dort beerdigt worden. Es ist daher nicht nur leibliche, sondern auch spirituelle Heimat. Land und seine richtige (traditionelle) Nutzung garantiert, auch für die Zukunft, das Leben der Familie und der Abstammungslinie in zukünftigen Generationen.

Ein Landrecht, also Recht auf Land, Recht an einem Stück Land, ist sicherlich zuförderst ein individuelles Nutzungsrecht. Das heißt, Einzelpersonen sind berechtigt, die natürlichen Ressourcen (Waldfrüchte und Boden) zu benutzen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dieses individuelle Nutzungsrecht ist im allgemeinen an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe gebunden, die sich über eine gemeinsame Abstammungslinie definiert. Es wird dabei den einzelnen Gruppenmitgliedern vom jeweiligen "chief", also Vertreter der Abstammungslinie bzw. ihren lokalen oder dörflichen Unterlinien, zugewiesen, indem er ein Grundstück für den Hausbau sowie Land zur landwirtschaftlichen Nutzung zuweist. Werden diese Landrechte nicht mehr wahrgenommen, so können die betreffenden Landstücke an andere Personen zur Nutzung weitergegeben werden. Das Anrecht auf Nutzung von Land, das in der Verfügungsgewalt einer Abstammungslinie liegt, bleibt aber grundsätzlich lebenslang erhalten (sofern sich die betroffenen Personen entsprechend um ihre Familienzugehörigkeit kümmern), es geht normalerweise nicht verloren, es wird auch weitervererbt an die Kinder. Jeder Mensch ist durch Vater und Mutter mit mehreren Abstammungslinien verbunden, wie weit jedoch diese Abstammungslinien auch Landrechte beinhalten, hängt von der jeweils regional unterschiedlich praktizierten Vererbungsregelung ab.

Landrechte - im Falle der Salomonen bezieht sich dieses Nutzungsrecht natürlich auch auf das Meer, dass innerhalb des Riffes die Inseln als Lagune und außerhalb als offenes Meer umgibt. Das Ernten der "Meeresfrüchte" ist einzelnen Personen jeweils nur in bestimmten Gebieten gestattet. Diese hängen ab von der Zugehörigkeit zu bestimmten Abstammungslinien und deren lokaler Platzierung. Da traditionell Fischfangzeiten und - methoden vorgegeben waren, konnte ein Überfischen verhindert werden und das ökologische Gleichgewicht gewahrt bleiben.

Ein weiterer Aspekt des traditionellen Landrechtes auf den Salomonen ist, dass es nur dann geltend gemacht werden kann, wenn die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Abstammungslinie glaubhaft gemacht werden kann. Da auf diesen Inseln eine ausschließlich mündliche Überlieferungstradition besteht, Geburts- und Abstammungsinformationen bisher kaum schriftlich festgehalten wurden, muss jede Person sich intensiv mit der eigenen Familie und Familienvergangenheit auseinandersetzen, um später entsprechende Nutzungsrechte geltend machen zu können.

Die soziale Stellung eines jeden Menschen auf den Salomonen innerhalb seiner Gemeinschaft wird durch das Prinzip des "Gebens" bestimmt. Das bedeutet, dass von allen erwirtschafteten Gütern etwas abgegeben wird. In den Genuss dieser "Gaben" kommen, in einem fein verwandtschaftlich und gesellschaftlich abgestuften System, alle in der näheren Umgebung lebenden Personen oder Familien. Das bedeutet zum Beispiel, dass von einem Korb frisch geernteter Kartoffeln ein bestimmter Anteil an die eine oder andere Familie abgegeben wird. Gefangene Fische werden sinngemäß verteilt. Hierbei wird genau darauf geachtet, dass die entsprechenden Regeln eingehalten werden. Natürlich kommen die nahesten Verwandten zuerst in den Genuss dieser "Gaben", zugleich werden aber auch gesellschaftlich angesehene Personen wie der "Dorfälteste", Pastoren, Lehrer, Gäste, medizinisches Personal der Klinik und alle anderen in der Nähe lebenden Menschen regelmäßig mit bedacht. - Traditionsgemäß bedeutet dies, dass jemand, der solch eine "Gabe" erhalten hat, gleichfalls etwas, in ähnlichem Wert, irgendwann, zurückgeben wird. Teile der erwirtschafteten Güter werden dadurch immer von einer größeren Gemeinschaft genutzt und schwächere Personen oder Familien werden dadurch von allen mit getragen. Dieses traditionelle Lebensprinzip der Bevölkerung vieler Länder der Südsee findet inzwischen auch seinen Niederschlag in der "Coconut - theology" und hat für Christen in der pazifischen Region einen ähnlichen Stellenwert wie die "black theology" Afrikas oder die "Theologie der Befreiung" Lateinamerikas.

Neben dem sozialen Stellenwert des "Gebens" ist der gesellschaftliche Stellenwert zu sehen. Die gesellschaftliche Position und das Ansehen von Personen und Familien wächst in dem Maße, wie sie "geben" ! Also nicht der Mensch, der am meisten individuellen Reichtum angehäuft hat, ist hoch angesehen, sondern der, der am meisten gibt und gegeben hat. Die gesellschaftliche Stellung wiederum hat auch Auswirkungen auf das Landrecht, indem sie bei der Zuteilung von Nutzungsrechten bzw. bei der Mitsprache über Nutzungsrechte berücksichtigt wird.

Überschattet werden die oben recht kurz und vereinfachend dargestellten Aspekte des Landrechtes auf den Salomonen durch drei aktuelle Problembereiche, die aus dieser traditionellen Lebensweise erwachsen.

Zum Einen werden durch die Anforderungen aus neuen Lebens- und Gesellschaftsformen die Landrechte in vielen Bereichen berührt. So z.B. dadurch, dass eine Wasserleitung für eine Schule über bestimmte Stücke Land geführt werden muss oder dass für Telefonverbindungen zwischen den Inseln eine entsprechende Antennenanlage an einem bestimmten Ort errichtet werden müsste. Landrechtsinhaber fordern jetzt Entschädigung für die Benutzung "ihres" Landes, zum Teil auch in einem solchen Umfang, dass dadurch das gesamte Vorhaben nicht mehr möglich ist.

Zum Anderen hat sich durch die Entwicklung zum Nationalstaat (die Salomonen wurden erst vor 23 Jahren unabhängig) und durch die Ansiedelung von etwas größeren Unternehmen mit ihrem Bedarf an Arbeitskräften die Landnutzung in und um Honiara, der Hauptstadt, als stark konfliktbeladen erwiesen. Es kam 1998 zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die bürgerkriegsähnliche Formen annahmen und von deren Folgen sich das Land bis heute nicht erholt hat.

Ein dritter Aspekt ist sicher die kommerzielle, wirtschaftliche Nutzung des Landes. So werden seit einiger Zeit die wertvollen tropischen Harthölzer von ausländischen Holzeinschlagfirmen gefällt und exportiert. Der Staat bekommt entsprechende Steuern, die Gruppierung, die der wirtschaftlichen Ausbeutung des Waldes auf Grund ihrer Landrechte zustimmte, erhält ohne großen Arbeitsaufwand einen bestimmten Anteil am Gewinn, doch der Wald und das Land sind für sehr lange Zeit ruiniert. Als Alternative bietet sich der ökologisch vertretbare, selektive Holzeinschlag an, doch dazu muss der Absatz der so gewonnenen Hölzer, auch in Übersee, z.B. bei uns in Deutschland, gesichert sein.

Landrechte auf den Salomonen! Ein gesellschaftliches Konzept, in Jahrtausenden gewachsen, doch wird es auch das Leben in Zukunft garantieren? Die Menschen auf den Inseln kämpfen darum und versuchen, ihre Lebensweise mit den Einflüssen der immer weiter vordringenden Werte der industrialisierten Welt in Einklang zu bringen! Es ist auch an uns, sie in unserem jeweiligen Einflussbereich dabei zu unterstützen

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