Wahlen in Bougainville - ein großer Schritt nach vorn

17.06.2005: von Dr. Volker Böge, Brisbane

Wahlen in Bougainville - ein großer Schritt nach vorn

Nach zehn Jahren Krieg und sieben Jahren prekärem Nachkrieg wurden auf der südpazifischen Insel Bougainville im Mai endlich Wahlen für eine Autonomieregierung abgehalten. Diese Wahlen sind ein entscheidender friedensstabilisierender Schritt. Sie machen den Weg frei für ein Referendum ueber den politischen Status der Insel in zehn bis 15 Jahren. Geht mensch vom Resultat dieser Wahlen aus, die klar die Befürworter der Unabhängigkeit stärken, wird ein solches Referendum wohl zur Schaffung eines neuen Staates führen.

ZUE: Ursachen und Verlauf des Krieges

Der Weg bis hierher war schwer. An seinem Beginn stand der längste und verlustreichste Krieg im Pazifik seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Ihm fielen rund 20.000 der knapp 200.000 Inselbewohner zum Opfer. Im Jahrzehnt zwischen 1988 und 1998 bekämpften sich die sezessionistische Bougainville Revolutionary Army (BRA) auf der einen Seite und die Streitkräfte der Zentralregierung Papua-Neuguinea’s (PNG), die Papua New Guinea Defence Forces (PNGDF), unterstützt von lokalen bougainvilleanschen Hilfstruppen, den so genannten Resistance Forces, auf der anderen Seite. Ausgelöst wurde der Krieg durch ein gigantisches Bergbauprojekt, das durch Inwertsetzung der reichen Bodenschätze der Insel (Kupfer und Gold) einem multinationalen Bergbaukonzern Profite und dem jungen Staat Papua-Neuguinea Ressourcen für die nationalstaatliche "Entwicklung" bescheren sollte. Der lokalen Bevölkerung im Minengebiet brachte es allerdings vor allem die Zerstörung der Umwelt und die Zersetzung traditionaler Lebenszusammenhänge. Aus dem Widerstand dieser Bevölkerung und der repressiven Reaktion der Staatsorgane entwickelte sich ein Konflikt, der zu einem Krieg um die Sezession der Insel vom Staatsverband Papua-Neuguineas mutierte. Der Stein des Anstoßes, die Gold- und Kupfer-Mine Panguna, wurde in einer frühen Phase des Krieges von den Aufständischen erobert und still gelegt (1989) - und das ist die Situation bis heute.

Mit ihrer Guerillakriegführung gelang es der BRA, gegen die personell und materiell überlegenen PNGDF militärische Erfolge zu erzielen. Sie proklamierte im Mai 1990 einseitig die Unabhängigkeit der "Republik Bougainville" und etablierte eine eigene Regierung, das Bougainville Interim Government (BIG). Mit Fortdauer des Krieges trugen auf Seiten der PNG-Regierung die Resistance Forces, ausgerüstet und unterstützt von den PNGDF, die Hauptlast der Kampfhandlungen gegen die BRA. Diese konnte im wesentlichen ihr Kernland im Zentrum der Insel um die Panguna-Mine und im Süden behaupten, während PNGDF und Resistance den Norden, den östlichen Küstenstreifen und die Nachbarinsel Buka weitgehend kontrollierten. Die Streitkräfte der PNG-Regierung wurden massiv von Australien unterstützt; ohne diese australische Militärhilfe wären die PNGDF und die Resistance nicht in der Lage gewesen, den Krieg so lange durchzuhalten. Ein letzter Versuch der Zentralregierung, zu einer militärischen Lösung zu gelangen, scheiterte im Frühjahr 1997 kläglich: Seinerzeit heuerte die damalige Regierung eine britisch-südafrikanische Söldnertruppe an, die von den Söldnerfirmen Sandline International und Executive Outcomes gestellt wurde, um die Panguna-Mine zurückzuerobern und die BRA zu zerschlagen. Doch Demonstrationen in der Hauptstadt Port Moresby gegen die Söldner, an denen sich auch viele PNGDF-Soldaten beteiligten, und die Weigerung der PNGDF-Führung, mit den Söldnern zu kooperieren, zwangen die Regierung zum Rücktritt und die Söldner außer Landes. Die nach den Neuwahlen vom Juni 1997 gebildete Regierung des Premierministers Bill Skate sah keine Perspektive mehr in der Fortsetzung des Krieges und erklärte sich zu Verhandlungen bereit.

ZUE: Waffenstillstand und Friedensabkommen

Auf Vermittlung der neuseeländischen Regierung kam es ab Juni 1997 zu einer Reihe von Gesprächen und Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien. Sie mündeten im Oktober 1997 in eine Waffenruhe, die im folgenden April zu einem permanenten Waffenstillstand verfestigt wurde. Seither vollzog sich auf Bougainville ein komplizierter, immer wieder von Verzögerungen, Rückschlägen und Unterbrechungen begleiteter Verhandlungsprozess. Dabei ging es um drei Schlüsselfragen: ein Referendum über den künftigen politischen Status der Insel, eine Autonomieregelung und die Entwaffnung der Konfliktparteien. Nach mehreren Zwischenschritten konnte schließlich eine Einigung erzielt werden. Am 30. August 2001 wurde das Bougainville Peace Agreement (BPA) unterzeichnet. Es sieht vor:- Weitgehende politische Autonomie für Bougainville im Rahmen PNGs und seiner Verfassung und Wahlen zu einer Autonomieregierung; - ein Referendum über die politische Zukunft - also die Frage: Unabhängigkeit oder Verbleib bei PNG - innerhalb von 10 bis 15 Jahren nach Bildung der Autonomieregierung; - einen dreistufigen Prozess der Abgabe der Waffen und der Auflösung der bewaffneten Gruppierungen - verbunden mit dem Abzug der letzten Regierungstruppen von der Insel. In der Tat zogen sich die PNGDF schon bald danach völlig aus Bougainville zurück, und BRA und Resistance gaben in den folgenden Jahren nach und nach ihre Waffen ab. Von 2002 bis 2004 arbeitete eine bougeanvilleansche Verfassungskommission an einer Autonomie-Verfassung für Bougainville; mehrere Entwürfe wurden der Bevölkerung auf Bougainville vorgelegt und von dieser breit diskutiert. Im November 2004 erfolgte die Verabschiedung der Verfassung durch eine bougainvilleansche Verfassunggebende Versammlung; im Dezember wurde sie von der Zentralregierung akzeptiert, und am 15. Januar 2005 trat sie in Kraft. Damit war der Weg zu den Wahlen für eine Autonomieregierung frei. Eine BRA-Fraktion allerdings hat sich dem Friedensprozess bisher nicht angeschlossen, ihn aber stillschweigend geduldet. Sie steht unter Führung von Francis Ona, jenes Mannes, der den ursprünglichen Widerstand gegen die Mine organisiert hatte und im Mai 1990 zum "Präsidenten" der "Republik Bougainville" ausgerufen worden war. Seine Anhänger haben sich 1998 als Me’ekamui Defence Force (MDF) von der BRA gelöst. Ona und die MDF kontrollieren nach wie vor die Mine und das umliegende Gebiet, welches sie zur "no-go area" für alle Fremden erklärt haben. Die Ona-Fraktion vertritt den Standpunkt, dass mit der Unabhängigkeitserklärung vom Mai 1990 Bougainville ein eigenständiger Staat sei und es daher mit der Zentralregierung PNG’s nichts mehr zu verhandeln gebe, Autonomie und Wahlen seien überflüssig.

ZUE: Der Wahlkampf

Unmittelbar nach Verabschiedung der Verfassung begannen die Vorbereitungen zu den Wahlen. Der Wahltermin wurde auf die Zeit vom 20. Mai bis zum 2. Juni 2005 festgelegt. Zu wählen waren ein Präsident als Chef der zu bildenden Autonomieregierung sowie 40 Abgeordnete eines bougeanvilleanschen Parlaments. Die politischen Führer der verschiedenen Strömungen, die in den letzten Jahren im Friedensprozess zusammen gearbeitet und gemeinsam die Verhandlungen mit der Zentralregierung geführt hatten, traten nunmehr als Präsidentschaftskandidaten gegeneinander an. Das war erstens John Momis, einer der großen alten Männer der Politik in PNG, der Bougainville seit der Unabhängigkeit PNG’s im Jahre 1975 im Nationalparlament vertreten hatte. Momis war während des Krieges ins politische Abseits geraten, er saß in dieser Zeit ‚weit vom Schuss’ in Port Moresby. Doch nach dem Waffenstillstand hatte er sich geschickt wieder ins Spiel gebracht und als Gouverneur einer Bougainville-Interimsverwaltung entscheidenden Einfluss auf den Friedensprozess genommen. Momis gab Ende März sein Parlamentsmandat zurück, um als Präsidentschaftskandidat bei den Autonomiewahlen antreten zu koennen. Er kann als Vertreter der gemäßigten Kräfte und als Repräsentant der älteren Generation gelten. Er ist sicher fuer eine weitgehende Autonomie Bougainvilles im Rahmen PNG’s, und in der Frage künftiger vollständiger Unabhängigkeit scheint er unentschieden. Zweitens trat Joseph Kabui an, politischer Kopf der Mehrheitsströmung der BRA und während des Krieges Partner von Ona im BIG. Er hat sich auf den Prozess der Friedensbildung eingelassen und diesen massgeblich mit gepraegt. Er will nunmehr das Ziel der Unabhängigkeit mit politischen Mitteln erreichen. Dann ist noch zu nennen James Tanis, ein junger BRA-Fuehrer, der in der Interimsverwaltung die Leitung des Friedensministeriums inne hatte. Er tritt entschieden für die Unabhängigkeit ein und will insbesondere die Verbindungen zur Ona-Fraktion halten. Tanis ist ein politischer Freund von Kabui, vertritt jedoch stärker die Anliegen der jungen Generation. Schließlich trat auch Joel Banam an. Er gehörte zur Resistance und vertritt als Vorsitzender des Leitana Council of Chiefs jene Kräfte, insbesondere von der Insel Buka, die bei PNG bleiben wollen. Ein fünfter weit gehend unbekannter Kandidat kam aus Kirchenkreisen. Francis Ona stellte sich nicht zur Wahl, obwohl er von allen Seiten dazu aufgefordert wurde. Er verliess zwar das erste Mal seit Jahren die no go zone um die Panguna-Mine und hielt mit seinen Anhängern Demonstrationen in mehreren größeren Städten der Insel ab, doch nur, um die Wahlen für überflüssig zu erklären und seinen Standpunkt zu wiederholen, dass Bougainville bereits unabhängig sei und schon eine Regierung habe, nämlich die Meekamui-Regierung unter seiner Führung, die in der no go zone residiert. Ona hat sich zusehends zu einer irrlichternden Figur entwickelt, deren politische Position nur schwer einzuschätzen ist. Zwischenzeitlich hat er sich auch schon mal selbst zum "König von Meekamui" gekrönt und sich mit höchst dubiosen ausländischen "Beratern" umgeben wie einem "Prince George", der behauptet, aus dem englischen Königshause zu stammen... Gleichwohl muss mensch Ona zu Gute halten, dass er die Wahlen und zuvor den Friedensprozess nicht sabotiert hat, wozu er mit seinen Anhängern, der einzigen immer noch bewaffneten Gruppierung auf Bougainville, durchaus in der Lage gewesen wäre.

Der Wahlkampf verlief weitgehend ohne Zwischenfälle. Nur einmal kam es zu einem Überfall auf Kabui und seine Wahlhelfer bei einer Wahlkampfveranstaltung auf Buka. Die örtlichen chiefs entschuldigten sich sofort für den Vorfall, den alle anderen Kandidaten einmütig verurteilten. Auch in der no go zone konnte gewählt werden. Hier sorgten die Kämpfer der MDF für die Sicherheit der Wahllokale und der WählerInnen. Im Vorfeld der Wahlen geäusserte Befürchtungen, dass es zu Störungen durch die Meekamui-Leute kommen könnte, bewahrheiteten sich also nicht. In der Tat stellten sich sogar 11 Meekamui-Kandidaten zur Wahl. In den anderen Teilen der Insel gewährleisteten die neu konstituierte Polizei Bougainvilles und ehemalige Kämpfer aus BRA und Resistance einen weitgehend reibungslosen Wahlablauf. Insgesamt kam es zu nur sehr wenigen Zwischenfällen, die von kleinen örtlichen Jugendbanden zu verantworten waren. An einzelnen Orten im Süden der Insel wurden Strassenblockaden errichtet, um Leute am wählen zu hindern. Doch konnten diese zumeist nach Intervention der lokalen chiefs beseitigt werden. Vereinzelt wurden Wahlurnen geklaut, aber sie wurden ersetzt. Ein größeres Problem waren die veralteten Wahllisten. Viele Menschen, die wählen wollten, durften nicht, weil sie nicht als WählerInnen eingetragen waren. Doch insgesamt wurden die Wahlen als äußerst ruhig, frei und fair bewertet. Zu dieser Einschätzung kam auch die kleine Gruppe internationaler Wahlbeobachter.

ZUE: Die Wahlergebnisse

Die Wahlen begannen wie angekündigt am 20. Mai. Knapp 123.000 Bougainvilleans waren wahlberechtigt. Neben den fünf Präsidentschaftskandidaten stellten sich 293 Kandidaten für 40 Sitze im Parlament zur Wahl. Zudem bewarben sich 25 Frauen um drei speziell den Frauen vorbehaltene Sitze und 25 Ex-Kombattanten um weitere drei Sitze für die ehemaligen Kämpfer. Zum Präsidenten wurde Joseph Kabui gewählt. Er erhielt knapp 38.000 Stimmen. Das ist ein klares Votum für den politischen Weg zur Unabhängigkeit (zumal, wenn mensch einen Gutteil der NichtwählerInnen der Ona-Fraktion zurechnet). Auch im Parlament werden die Unabhängigkeitsbefürworter die Mehrheit stellen. 34 Abgeordnete gelten als AnhängerInnen Kabuis. Als schlechter Verlierer erwies sich John Momis, der mit knapp 24.000 Stimmen auf den zweiten Platz verwiesen wurde (Dritter wurde Tanis, vierter Banam). Er will das Wahlergebnis wegen - seiner Meinung nach - gravierender Unregelmässigkeiten vor Gericht anfechten. Auch die Zentralregierung in Port Moresby reagierte verschnupft auf das Wahlergebnis; sie hatte offensichtlich auf den "gemässigten" Momis gesetzt. Die australische Regierung begrüßte das Wahlergebnis in dipolmatisch-wohlgesetzten Worten. Kabui erklärte, von nun an sei Bougainville keine Provinz PNG’s mehr, sondern eine eigenständige autonome Region. In der Tat garantieren BPA und Verfassung Bougainville ein Mass an Autonomie, das schon nahe an die Unabhängigkeit heran reicht. Jetzt wird es darauf ankommen, den bisherigen inklusiven politischen Kurs beizubehalten, um auch der unterlegenen Minderheit deutlich zu machen, dass sie in einem künftigen unabhängigen Bougainville einen sicheren Platz im gesellschaftlichen und politischen Leben haben wird. Am 15.6. wird das neue gewählte Parlament des autonomen Bougainville zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen treten.

ZUE: Ein Staat neuen Typs

Mit den Wahlen sind gute Voraussetzungen für eine künftige friedliche und eigenständige politische Entwicklung auf Bougainville geschaffen. Sie wird auf einer Verbindung von modernen staatlichen und traditionalen Institutionen und Verfahren beruhen. Letztere haben sich in der "staatslosen" Zeit des Krieges und bei der Konsolidierung des Friedens in der Nachkriegsphase bewährt. Die BRA-Führung hatte von vornherein eine Stärkung von kastom/custom - also traditionalen Strukturen und Verfahren -propagiert. In BRA-kontrollierten Gebieten hatten traditionale Institutionen wie die Ältestenräte die alleinige Verantwortung für die öffentliche Ordnung übernommen. Im BPA wird die Bedeutung von kastom für die Friedenskonsolidierung explizit gewürdigt, und aufgrund der positiven Erfahrungen wurden in die Autonomie-Verfassung traditionale Institutionen aufgenommen. Die neue politische Führung Bougainvilles steht nunmehr vor der Herausforderung, tatsächlich "Staat machen" zu müssen, zunächst für ein autonomes, in zehn bis 15 Jahren wahrscheinlich ein unabhängiges Bougainville. Die Autonomieregierung hat weit gehende Befugnisse. Insbesondere kann ein autonomes Bougainville eine eigenständige Verwaltung, Justiz, Gefängniswesen und Polizei aufbauen. Selbst in Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik hat es gewisse Kompetenzen: PNGDF dürfen nur in kleiner Zahl und nur mit Zustimmung der Autonomieregierung auf der Insel stationiert werden. Die Autonomieregierung kann in gewissen Fragen eigenständig internationale Verträge abschließen und auf dem internationalen Parkett präsent sein; insbesondere kann sie mit ausländischen Geberstaaten Übereinkommen zur Entwicklungszusammenarbeit und zur finanziellen Unterstützung abschließen. Mittlerweile gilt ‚Bougainville’ verschiedenen Unabhängigkeitsbewegungen in der Dritten Welt als Vorbild, das nach Selbstbestimmung und nach neuen Formen politischer Organisation strebenden Voelkern politische Orientierung geben kann. Auf Bougainville scheint eine staatliche Ordnung neuen Typs bei Vertrauen in die eigene Kraft möglich. Dieses in Krieg und Nachkrieg erworbene Vertrauen in die eigene Kraft sollte eine Ressource sein, die für den weiteren Weg der Selbstbestimmung von sehr viel größerem Wert ist als die Ressourcen im Boden der Insel.


zuerst veröffentlicht in: Analyse und Kritik- Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 496 vom 17. Juni 2005 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors)