Alte und neue Projekte im Öl- und Gassektor

23.08.2004: Gemeinsame Briefaktion von Urgewald und anderen Nichtregierungsorganisationen an die WestLB

Aktionsgemeinschaft Artenschutz, Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz - ARA, Arbeitskreis Verkehr und Umwelt UMKEHR e.V., Berggorilla & Regenwald Direkthilfe, BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Deutscher Naturschutzring (DNR), EarthLink - The People & Nature Network, ecodevelop, ECOTERRA International, Eine-Welt-Haus Halle, Eine Welt Netz NRW, Energieseminar e.V., Faszination Regenwald e.V., Freunde der Naturvölker e.V., germanwatch, Gesellschaft für ökologische Forschung, grassroots foundation, Greenpeace Deutschland, INKOTA-netzwerk, Jane Goodall Institut - Deutschland, MANDACARU, Naturschutzbund Deutschland - NABU, OroVerde, Pazifik-Netzwerk e.V., Pro REGENWALD, Rettet den Regenwald, ROBIN WOOD, SÜDWIND - Institut für Ökonomie und Ökumene, Urgewald, Vamos e.V., VITOS e.V., WEED - Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung, Westfälische Gesellschaft für Artenschutz e.V.

An Herrn Thomas Fischer
Vorstandsvorsitzender
WestLB AG
18. August 2004

Betr.: Alte und neue Projekte im Öl- und Gassektor

Sehr geehrter Herr Fischer,

die personelle Erneuerung der WestLB sowie Ihr Bekenntnis zu einer neuen Offenheit und Gesprächskultur hatte Nichtregierungsorganisationen (NRO) hoffen lassen, daß es möglich sein könnte, auch und gerade zum Thema OCP ein konstruktives Gespräch mit Ihrer Bank zu führen. Obwohl die OCP-Pipeline im August 2003 fertiggestellt wurde, gibt es weiterhin viele ungelöste Probleme im Zusammenhang mit diesem Projekt.

Die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald hatte deshalb Anfang Juli mehrfach bei Ihren Mitarbeitern um einen Termin in Sachen OCP angefragt. Unter anderem sollten z.B. Fragen des Katastrophenschutzes erörtert werden, da etwaige Notfallpläne für den Fall eines Pipelinebruchs bisher sowohl den betroffenen Gemeinden entlang der Pipeline als auch dem ecuadorianischen Parlament vorenthalten werden. Diese Frage scheint schon deshalb besonders dringlich, da es bei der über weite Strecken parallel verlaufenden SOTE-Pipeline noch im März diesen Jahres durch einen Erdrutsch zu Leckagen gekommen war - eine Gefahr, die auf Grund des instabilen Geländes auch der OCP-Pipeline jederzeit droht.

Als einer der wichtigsten Finanziers der Pipeline sollte unseres Erachtens auch die WestLB ein Interesse an einem qualitativ hochwertigen und praktisch umsetzbaren Notfallplan haben und dahingehend entsprechenden Einfluß auf ihren Klienten ausüben. Unsere Hoffnung, daß bei Fragen wie dieser NRO und WestLB zur Abwechselung "an einem Strick ziehen" könnten, wurde jedoch jäh enttäuscht. Am 7. Juli teilte uns der Leiter Ihres Nachhaltigkeitsmanagements mit, daß man derzeit keinen Bedarf für ein solches Gespräch sehe, und daß stattdessen im August Gutachter der Firma Stone & Webster im Auftrag der WestLB das OCP-Projekt besuchen würden.

Dies entspricht genau der "Augen zu und durch"-Politik, die den Kurs der "alten" WestLB in Sachen Ecuador so nachhaltig gekennzeichnet hat. Über Jahre hinweg war die WestLB nicht bereit, sich mit den Ergebnissen von NRO-Recherchen auseinanderzusetzen, oder mit direkt Betroffenen einen Dialog zu führen, sondern hat vielmehr blind auf die Gutachten der Firma Stone & Webster vertraut. Daß dies ein schwerwiegender Fehler war, und daß Stone & Webster nicht qualifiziert war, die ökologischen und sozialen Folgewirkungen der Pipeline fachkompetent abzuschätzen, sollte inzwischen deutlich geworden sein (siehe auch die beigelegte Stellungnahme von 35 NRO zu einem der ersten Stone & Webster-Gutachten). Auch bei Journalisten, unabhängigen Experten und Landtagsabgeordneten, die sich die Mühe gemacht haben, eigene Recherchen entlang der Pipelinestrecke durchzuführen, gelten die Aussagen dieser Firma schon lange als einseitig und unglaubwürdig.

Bei verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen in den letzten Monaten haben Vertreter der WestLB stets vorgetragen, daß "man aus dem Fall Ecuador gelernt habe", und daß "man heutzutage entsprechende Projekte anders prüfen würde". Durch solche Erklärungen, aber auch durch die Einrichtung des Nachhaltigkeitsmanagements und der Aufnahme von Gesprächen mit einzelnen NRO waren unsererseits Hoffnungen geweckt worden, daß die "neue" WestLB verantwortungsvoller mit ökologischen und sozialen Fragen umgehen könnte als dies die "alte" WestLB getan hat.

Umso enttäuschter sind wir deshalb über die aktuelle Gesprächsabsage Ihrer Mitarbeiter und über die Tatsache, daß die "neue" WestLB sich offenbar auf die gleichen umstrittenen Gutachtern verläßt wie die "alte" WestLB. Wenn die WestLB tatsächlich aus den Erfahrungen mit OCP gelernt hat, sollte sich das auch in einem sensibleren Umgang mit diesem konkreten Problemfall niederschlagen.

Nachdem sich NRO über Jahre hinweg erfolglos um einen Dialog mit der WestLB ueber OCP bemüht haben (und die Auseinandersetzung infolgedessen über die Medien ausgetragen wurde), möchten wir Sie bitten, nun persönlich ein Zeichen zu setzen und ein sach- und lösungsorientiertes Gespräch zwischen NRO und Bank über OCP zu ermöglichen.

Desweiteren würden wir es begrüßen, wenn es auch möglich wäre, über die zukünftigen Kriterien Ihres Unternehmens für die Finanzierung von Öl- und Gasprojekten zu sprechen. Wir haben nämlich mit großer Besorgnis feststellen müssen, daß die WestLB sich weiterhin finanziell bei Projekten engagiert, die Naturschutzgebiete von herausragender Bedeutung bedrohen und internationalen Konventionen zuwiderlaufen.

So hat die WestLB z.B. im November 2003 (ein halbes Jahr nach der Verabschiedung der "Equator Principles") einen langfristigen Kredit an die russische Firma Lukoil vergeben. Dieser Kredit wird u.a. dazu verwandt, das umstrittene D6-Ölprojekt vor der Kurischen Nehrung voranzutreiben. Die Kurische Nehrung gilt als eine der schönsten Naturlandschaften Europas, und das von Litauen und Russland als Nationalpark geschützte Gebiet wurde im Jahr 2000 von der UNESCO zum Weltnaturschutzerbe erklärt.

Das D6-Ölfeld liegt nur 22 km vor der Kurischen Nehrung. Als hier 1983 erste Probebohrungen vorgenommen wurden, kam es bereits zu einem Ölunfall, der ein Fünftel der Nehrung verseuchte. Öffentliche Proteste führten damals zu einem Abbruch des Projekts. Im Rahmen ihrer due diligence für einen Kredit an Lukoil hätte die WestLB feststellen müssen, daß Lukoils Pläne zur Reaktivierung des D6-Projekts auf großen öffentlichen Widerstand stoßen. Im Oktober 2003 hatten z.B. über 1000 Bürger/innen und 60 NRO aus Russland eine Klage gegen die geplante Ölförderung vor der Kurischen Nehrung eingereicht. Auch die "Coalition Clean Baltic", die über eine halbe Million Mitglieder in den baltischen Ländern umfaßt, wehrt sich seit anderthalb Jahren lautstark gegen das Projekt. Und wegen den umstrittenen Praktiken von Lukoil haben die Premierminister aus Dänemark, Schweden, Finnland, Estland, Litauen und Lettland unlängst bei der EU eine Beschwerde eingelegt (siehe auch den beiliegenden Artikel aus der St. Petersburg Times).

Der WestLB-Kredit für Lukoil wird somit zur Finanzierung eines Projekts herangezogen, das gegen die Helsinki-Konvention (Convention for the Protection of the Marine Environment of the Baltic Sea), die World Heritage Convention der UNESCO und die Espoo-Konvention (Convention on Environmental Assessment in a Transboundary Context) verstößt. Unserer Ansicht nach zeigt dieses Beispiel auf eindrückliche Weise, wie wenig die WestLB tatsächlich aus den OCP-Erfahrungen gelernt hat, und dass die Bank gut beraten wäre, eindeutige Standards für ihre zukünftigen Geschäfte im Öl- und Gassektor zu entwickeln.

Wir würden uns sehr freuen, diese beiden Themen mit Ihnen in einem persönlichen Gespräch zu erörtern und möchten uns bereits im Voraus für Ihre Antwort bedanken.

Mit freundlichen Grüßen,

i.A. Heffa Schücking Geschäftsführerin Urgewald

cc:

Herrn Rolf Gerlach, Westfälisch-Lippischer Sparkassen- und Giroverband
Herrn Karlheinz Bentele, Rheinischer Sparkassen- und Giroverband
Herrn Jochen Dieckmann, Finanzministerium Nordrhein-Westfalen
Frau Bärbel Höhn, MUNLV, Nordrhein-Westfalen
Herrn Wolfgang Schäfer, Landschaftsverband Westfalen-Lippe
Herrn Udo Molsberger, Landschaftsverband Rheinland