Das Westpapua-Netzwerk

Kurzvorstellung

Das Westpapua-Netzwerk

„In Wamena im Hochland von West Papua erschossen indonesische Soldaten zwei Männer, die in ihrem Garten Süßkartoffeln ernteten. Es handelte sich um den Pfarrer Ketis Tabuni (39) und den stellvertretenden Vorsitzenden des Kirchengemeinderates Enggelek Tabuni (45) der Baptistengemeinde Luarem. Der Vorfall ereignete sich am Sonntag, dem 4.Mai 2003.“

Diese Nachricht kam heute, am 9. Mai 2003, per E-Mail auf meinen Tisch. Seit ich vor fast fünf Jahren die Aufgabe des Koordinators des West-Papua-Netzwerks übernahm, habe ich immer wieder ähnliche Nachrichten erhalten. Dabei wechselten Personen- und Ortsnamen, aber meistens waren es Angehörige der indonesischen Sicherheitskräfte, die ihre Waffen gegen Zivilisten erhoben hatten.

Was kann ich als Koordinator des West-Papua-Netzwerks tun? Advocacy – Eintreten für die Leidenden in Papua – gehört zu meinen wichtigsten Aufgaben. Fälle von Missbrauch von Gewalt wie der hier geschilderte müssen allen Menschen und Gruppen in Deutschland, die sich mit West Papua beschäftigen, bekannt gemacht werden. Hintergründe müssen erläutert werden. Je mehr Menschen hier davon wissen, desto stärker wächst auch die Bereitschaft, etwas zu tun. Aber was können wir tun? In vielen Fällen haben wir in den letzten Jahren Briefaktionen angeregt. Mitglieder des Netzwerks, Gemeindeglieder und Gemeinden, Kirchenkreise und Kirchenleitungen wurden gebeten, Briefe an verantwortliche Regierungs- und Militärinstanzen in Indonesien zu richten mit der Bitte, die Menschenrechte zu achten.

Eine andere Ebene der Advocacy-Arbeit ist die Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Kontakte zum Ausschuss für Menschenrechte des Bundestages und zum Beauftragten für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der Bundesregierung müssen aufgebaut und gepflegt werden. Etliche Male vermittelten wir Gespräche von Besuchern aus Papua mit Mitgliedern des Bundestages und Ministerialbeamten. Unsere eigene Regierung muss wissen, dass es in Deutschland Bürgerinnen und Bürger gibt, denen die Menschenrechtsarbeit auch in einem entlegenen Gebiet wie West Papua wichtig ist. Dabei geht es immer wieder darum, die deutsche Regierung zu bitten, Einfluss und vielleicht auch Druck auf Indonesien auszuüben hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, der Aufklärung von Willkürakten der indonesischen Armee und der gerichtlichen Verfolgung und Bestrafung der Täter.

Natürlich pflege ich Kontakte zu West Papua, zu Kirchen und Nichtregierungsorganisationen. Nicht selten kommen Besucher nach Deutschland. In Abständen von ein bis zwei Jahren mache ich eine Reise nach Papua, in der Regel anlässlich eines Workshops, einer Tagung oder eines anderen in Papua vorbereiteten Programms. In den letzten vier Jahren hat das West-Papua-Netzwerk in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen die Teilnahme von Menschenrechtlern aus Papua an der Sitzung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf ermöglicht. Damit war ein Menschenrechtstraining für einige Mitarbeiter von NGOs aus Papua verbunden.

Natürlich kümmert sich das Netzwerk auch um ökologische und ökonomische Fragen. Uns beschäftigt noch immer die Gold- und Kupfermine Freeport und die verheerende Zerstörung der Umwelt durch die schwermetallhaltigen Abraumhalden. Der geplante Dammbau am Mamberamofluss scheint vorläufig von den indonesischen Behörden auf Eis gelegt zu sein, doch die neue große Investition des Energieriesen BP (Britisch Petrol) zur Förderung von Erdgas in der Bintunibucht wird von uns – in enger Kooperation mit britischen Gruppen - genau beobachtet.

Das Netzwerk ist ein Forum, in dem über 40 deutsche Organisationen - Kirchengemeinden, Umwelt- und Solidaritätsgruppen - und viele Einzelpersonen mitarbeiten. Einige dieser Organisationen haben Partnerschaften zu Gruppen in West-Papua. Sie organisieren regelmäßig einen Besucheraustausch, Gruppen aus Deutschland reisen nach Papua, Gruppen oder Einzelpersonen aus Papua werden von ihren Partnern nach Deutschland eingeladen. Bei diesen Organisationen besteht eine gute Kenntnis der politischen und sozialen Situation Papuas und Indonesiens im allgemeinen. Andere Organisationen und Personen sind interessiert an der politischen oder wirtschaftlichen Situation Papuas und sind dankbar für die Informationen, die sie durch das West-Papua-Netzwerk in Form eines gedruckten Rundbriefs und eines elektronischen Informationsdienstes erhalten.

Das Netzwerk entstand 1996. Damals reisten zwei Vertreter der Regenwaldgruppe Bochum nach Papua. Als sie auf dem Flugfeld Sentani aus dem Flugzeug stiegen, brannte der Markt und einige Läden in Abepura, einem Stadtteil der Provinzhauptstadt Jayapura. Autos wurden umgestürzt und in Brand gesteckt. Studenten demonstrierten. Hunderte von Militärs riegelten die Straßen ab und suchten nach den Anführern der rebellierenden Studenten. Um die Bevölkerung einzuschüchtern schossen sie immer wieder in die Luft. Was war geschehen? Der Oppositionspolitiker Dr. Thomas Wanggai, der 1984 wegen einer feierlich inszenierten Flaggenhissung zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, war im Gefängnis in Jakarta gestorben. Sein Leichnam wurde nach Jayapura überführt, die Studenten wollten in der Universität am offenen Sarg einen Trauergottesdienst halten. Die Militärs verweigerten ihnen diesen Wunsch und hatten den Sarg bereits mit einem Lastwagen abtransportiert.

Unter dem Eindruck dieser Erlebnisse regte die Regenwaldgruppe Bochum die Gründung eines Netzwerks an. Seit 1996 hat sich hinsichtlich der Menschenrechtssituation in Papua weder durch den Sturz des Diktators Suharto noch durch vorsichtige Reformen der nachfolgenden indonesischen Regierungen etwas geändert. Das Militär reagiert unverhältnismäßig hart auf jede Art von Opposition und handelt willkürlich – ohne die Beachtung von Menschenrechten, zu der sich die eigene Regierung verpflichtet hat. In Wamena sind in diesen Wochen nicht nur Menschen erschossen oder zu Tode gefoltert, einige Dörfer wurden niedergebrannt und die Bewohner mussten in die umliegenden Wälder fliehen. Was heute in Wamena geschieht, kann morgen in Sarmi, Manokwari, Sorong, Fakfak oder Merauke geschehen.

Seit 1996 informiert das West-Papua-Netzwerk über Menschenrechtsverletzungen und die Marginalisierung der einheimischen Bevölkerung. Es unterstützt alle Bemühungen, die zu Frieden und Gerechtigkeit für Papua führen.

Text von Pfr. Dr. Siegfried Zöllner, ehemaliger Koordinator des Netzwerks

Zum Autor: Dr. Siegfried Zöllner war von 1960 bis 1973 als Missionar in Westpapua, wo er im Hochland in der Nähe von Wamena mit seiner Familie lebte. In den 80er und 90er Jahren besuchte er immer wieder Indonesien und Westpapua. Von 1999 bis 2004 war er Koordinator des West-Papua-Netzwerks.