Des Königs Müllkippe

16.08.2005: Hunderte Menschen hausen auf der Abfalldeponie von Tonga, leben vom weggeworfenen Unrat.

Auf allen Südseeinseln gibt es heute ein Müllpoblem. Westliche Wegwerfprodukte drängen immer mehr auf die Inseln, für professionelles Müllmanagement sind die Inselstaaten meist zu klein und zu arm, die lässige Südsee-Mentalität kommt erschwerdend hinzu. Überall entstehen deshalb wilde Müllkippen. Gleichzeitig verlassen viele Menschen ihre kleinen Dörfer und Außeninseln, wo sie von Kleinlandwirtschaft und Handwerk leben konnten, um in den Hauptstädten ihr Glück zu versuchen. Diejenigen, die es nicht schaffen, landen auf dem Müll-um dort ohne eigene Mittel zu wohnen und vom Müll anderer Menschen zu leben.

Es ist Mittag, die Sonne nahe am Äquator sticht. Suima, vielleicht 30, und Han (10) verlassen die Müllkippe am Rande von Tongas Hauptstadt Nuku`alofa. Sie haben Plastiksäcke geschultert mit Sachen, nach denen sie auf der Deponie gesucht haben. "Nein, wir sammeln keine Lebensmittel vom Müll", erklärt die junge Mutter. Ihrer Tochter fallen ein paar Zwiebeln aus dem Sack. Suima ist das peinlich, sie mag nichts mehr sagen, verschwindet.

Han (10 Jahre)

Fikufa Foa dagegen nimmt kein Blatt vor den Mund, auch wenn er seinen richtigen Namen aus Angst verschweigt. Im Schatten eines Baumes am Randes der Müllkippe hält der Einundfünfzigjährige seine Siesta auf einem ausgebauten schmuddeligen Autositz. Blechteile und Elektrokabel, die er im Müll gesammelt hat, liegen um seinen Ruheplatz herum vertreut. "Ich wohne schon zwanzig Jahre hier auf dem Müll", berichtet er. Die Müllkippe, heute etwa einen Kilometer lang und 500 Meter breit, existiert bereits seit den sechziger Jahren- als erstmals Blechdosen, Plastikverpackungen und Wegwerfartikel und sowas wie Wohlstand auf die Südseeinseln kamen. Vorher gab es dort kein Müllproblem, denn in der traditionellen Selbstversorgerwirtschaft fielen hauptsächlich nur Küchenabfälle an, die an die Schweine verfüttert wurden. Brennbares kam ins Feuer. Es gab einfach keinen Restmüll.

Wie die anderen Müllplatzbewohner auch hat er sich eine Behausung am Rande der Kippe aus weggeworfenem Wellblech, Holz, Pappendeckel und aus Steinen gezimmert, der Hausrat stammt zum großen Teil ebenfalls vom Müll. In dieser kleinen Hütte wohnt Fikufa Foa mit seiner Frau und drei Kindern, sechs, acht und elf Jahre alt. Vielleicht 600 Menschen, 80 Familien, meist mit vielen Kindern, leben im und vom Müll hier. Fließendes Wasser, sanitäre Einrichtungen und elektrischen Strom gibt es hier nicht. Pata`ngata ( etwa "Zufluchtsort für eine Königstochter") heißt der Ort nach einer alten Begebenheit, doch der Zufluchtsort für die Ärmsten Tongas ist in keiner offiziellen Karte verzeichnet.

Fünf Stunden, manchmal auch den ganzen Tag durchstöbert Fikufa Foa mit bloßen Händen den Müll, der von einem leidlich organisierten Müllwesen auf Tongas Hauptinsel Tongatapu angekarrt wird. Wenn es regnet, arbeitet er nicht, dann ist die wilde Kippe ganz den Horden von Schweinen überlassen, die hier in Konkurrenz zu den Menschen ihr Dasein fristen, vom Müll leben. 1000 Kilo Aluminium klauben die Müllmenschen in der Woche aus dem Abfall heraus, es gibt 60 Seniti (33 Euro-Cent) für ein Kilogramm. Kupfer aus Elektrokabeln bringen ebenfalls 60 Seniti, Blei aus Batterien 20 Seniti pro Kilo, Metallteile wie Automotoren 10 Seniti pro Kilo. Auch weggeworfene Glas- und Plastikflaschen werden gesammelt. Das Material kaufen Firmen auf, die es nach Übersee verschiffen, oder auch örtliche Gewerbetreibende, die daraus wieder neue Produkte fertigen.

Der Familienvater bringt es auf ein Einkommen von 500 Pa`anga (270 Euro) im Monat. Das reicht gerade so zum Überleben für die fünfköpfige Familie, denn alle Produkte auf der Südseeinsel sind extrem teuer, müssen sie doch von weit her geholt werden, und der Staat kassiert üppige Einfuhrzölle. Die Wirtschaft Tongas liegt am Boden, der Währungsverfall macht Importe noch teurer. Staatliche Unterstützung bekommt die Familie nicht. Immerhin ist die Schule kostenlos, Fikufa schickt seine drei Kinder auch dorthin- was gar nicht so selbstverständlich ist. Denn viele Familien können sich die obligatorischen Schuluniformen und die selbst zu bezahlenden Schulmaterialien nicht leisten.

"Ich will nicht, daß meine Kinder auf dem Müll arbeiten", gesteht der Vater und berichtet, daß Kinder anderer Familien ganz selbstverständlich im Abfall mitwühlen, statt in die Schule zu gehen. Er will seine Kinder aufs College schicken. "Womit sie später mal ihr Geld verdienen, weiß man erst, wenn sie groß sind." Den beißenden Gestank der Müllkippe nimmt der Mann längst nicht mehr wahr. Angeblich war er hier noch nie krank. Doch sein rechtes Bein hat Zuckungen. Ein erbärmlicher Ort, um Kinder großzuziehen. Manche Familien haben bis zu zehn Kinder. Da fehlt es an der Aufmerksamkeit für den Einzelnen. Kari (3 ) macht einen sehr ungepflegten Eindruck. Die Haare sind verklebt, Rotz läuft ihm aus der Nase, der Bauch ist stark aufgebläht, er trägt keine Schuhe, obwohl er über scharfkantiges Zeug klettert, das die Erwachsenen aus der Müllkippe herausgezerrt haben. Die Mutter läßt sich über Stunden nicht sehen. Das viel größere Mädchen Am, angeblich erst 6, behält den kleinen Jungen ein bißchen im Auge. Vielleicht gefällt es den Kindern sogar in diesem Millieu- die Müllkippe als Abenteuerspielplatz. Ob sie aber jemals den Absprung aus diesen menschenunwürdigen Umständen schaffen?

Kari (3 Jahre)


Die gesamten 688 Quadratkilometer Land der 171 Tonga-Inseln gehören nur dreiunddreißig Adelsfamilien und dem König. Allerdings sind diese Landeigentümer seit gut 100 Jahren einem bemerkenswerten Sozialsystem verpflichtet. Jeder junge Tonganer darf mit dem Erreichen des 16. Lebensjahres vom Staat maximal 8,25 Acre Land (ca. 3,3 Hektar) verlangen, die er für ein symbolisches jährliches Entgelt von 10 Seniti ( ca. 6 Euro-Cent ) sein ganzes Leben lang bebauen darf, um sich und seine Familie zu ernähren. Die Rechte am gepachteten Land sind auch vererbbar. Durch den Kinderreichtum und die immer höhere Lebenserwartung ist die Bevölkerungszahl Tongas in den letzten 100 Jahren drastisch gestiegen und liegt gegenwärtig bei etwa 100000 Menschen. Heute ist deshalb so gut wie kein Land mehr übrig, das es zu verteilen gäbe- gleichzeitig liegt aber nach Schätzungen ein Drittel des Landes brach, weil sehr viele Tonganer ausgewandert sind oder im Ausland arbeiten, das gepachtete Land ihnen aber auf Lebenszeit zusteht, solange sie die Mini-Pacht zahlen. Die Selbstversorgerwirtschaft hat aber auch im traditionellen Tonga Konkurrenz bekommen, gibt es doch in der Hauptstadt bezahlte Arbeitsplätze, wie in der westlichen Wirtschaftswelt üblich. Diese Aussicht auf Verdienst lockt viele Tonganer von kleinen Orten auf dem Lande oder von abgelegenen Außeninseln in die Hauptstadt Nuku`alofa. Wer es dort nicht schafft, hat oft keine Alternative, als auf den Müll zu gehen.

"Die Menschen auf dem Müllplatz leben an einem miserablen Ort. Die Bedingungen werden dort immer schlimmer. Gleichzeitig ist aber auch die Müllbeseitigung ein akutes Problem", bestätigt Pesi Fonua. Der auf Tonga bekannte Publizist, der Zeitschriften und Bücher verlegt, bedauert die Menschen, die ihr Land aufgegeben oder keines mehr bekommen haben: "Tonganer brauchen einfach ein Stück Land!" Um sich selbst zu versorgen, wie es in der jahrtausendealten polynesischen Lebensweise üblich ist.

Ein paradoxes Schild steht am Popua Beach, nur durch die Straße von der Müllkippe getrennt: "Den Strand bitte sauber halten!" Von der Müllkippe sickern seit Jahrzehnten giftige Abwässer in die Lagune, Müll wird ins nahe Wasser geweht, doch Fischer gehen in der verseuchten Brühe auf Beutezug. Zahlreiche Schiffswracks verrotten im flachen Gewässer, beinahe ein Schiffsfriedhof. Angeblich braucht die Regierung das Müllplatzgrundstück in Verlängerung des Hafens für ein Entwicklungsprojekt, der Müllplatz soll umziehen. Weiter ins Landesinnere, wo der Schandfleck besser zu verstecken ist, wieder in den Mangrovensumpf. Auch die Menschen müssen weg von hier, wo sie wie auf dem Präsentierteller leben. Den sich gelegentlich hierher verirrenden Touristen die Illusion vom Paradies verderben. Den Müllwerkern soll dann Land zur Verfügung gestellt werden, wo sie ihre Hütten wieder aufbauen dürfen. "Aber wir müssen den Sumpf selbst auffüllen und zur Bebauung herrichten", schimpft Foa. Er würde lieber hierbleiben. Denn ihm gefällt es hier.

Fikufa Foa weiß, daß andere Leute auf ihn herabschauen wegen seiner Tätigkeit, wegen dem Ort, an dem er wohnt. Das scheint ihn aber offenbar nicht sonderlich zu stören. Denn er hatte keine Arbeit, als er auf die Müllkippe zog. "Es ist ein guter Job hier", sagt er voller Überzeugung. Die Angst vor der Staatsmacht verbieten es ihm, sich an diesem Ort fotografieren zu lassen. Tonga ist autoritär regiert, und wer sich mit der Staatmacht anlegt, kann hier Ärger bekommen.

John Fakahau (57) kommt gerne zur Müllkippe. In seinem klapprigen Kleinbus verstaut er Säcke mit jeweils 25 Flaschen, die er der Müllsammlerin Anne Teu (56) für 5 Pa`anga (2,70 Euro) pro Sack abkauft.

Anne Teu (56) sammelt Flaschen

Der Kleinunternehmer stellt Chemie für die Tapaverarbeitung her. Tapa ist ein in der ganzen Südsee bekanntes Textilprodukt, das aus Baumrindenfasern hergestellt wird. Acht Familienmitglieder arbeiten in Fakahaus Betrieb mit. Die Chemie wird in die gesäuberten Flaschen vom Müll abgefüllt und auf Straßenmärkten verkauft. Fakahau kauft jede Woche 6 Säcke mit Flaschen, nur von Anne Teu. Lieferantentreue auf tonganisch. Scheinbar ein gutes Geschäft für beide. "Das Leben ist hart hier", bemerkt Fakahau im Gehen und verabschiedet sich herzlich von seiner früh vergreisten Lieferantin.

Am Sonntag ruht die Müllsammlerei. Tonga ist wie die gesamte Südsee streng christlich, mit Hang zum Fundamentalistischen. Die Missionare konnten den Menschen zwar ihren alten Glauben nehmen, nicht aber ihre Spiritualität. Der Sonntag ist für den Kirchgang vorbehalten, für ein opulentes Mittagessen mit der Familie, für Ruhe. Am Sonntag fahren Busse nur zu den Kirchen, Flugzeuge dürfen nicht starten und landen auf der Südseeinsel. Die katholische und anglikanische Kirche (Free Weslyan Church) haben den größten Marktanteil an der Bevölkerung. Fikufa Foa gehört der Mormonen- Sekte an. Die Mormonen bemühen sich, aus Tonga den ersten Mormonenstaat zu machen.

Die Regierung ist im Lande durchaus umstritten, gilt als inkompetent, korrupt. Der König dagegen wird verehrt wie ein Heiliger. Der höchste Feiertag des Landes ist Königs Geburtstag, den sechsundachzigsten hat der zählebige Monarch bereits gefeiert, wie Transparante über den Straßen verkünden. Der damals äußerst dicke König Tupou IV und sein Tonga wurden in Deutschland schlagartig berühmt, als der Monarch vor über 20 Jahren auf Staatsbesuch in Deutschland in Helmut Kohl einen in Gewicht und Macht ebenbürtigen Kumpel erkannte- und gerührt alle auswanderungswilligen Deutschen in sein Inselreich einlud, als er hörte, daß für Deutsche die Südsee als Endstation Sehnsucht gilt.

"Das Land mit dem Müllplatz gehört dem König", erzählt Fikufa Foa, "deshalb dürfen alle hier, die auf seinem Land wohnen, einmal im Monat zusammen mit dem König beten." Die Konfession spielt dabei keine Rolle. Ein seltenes Privileg für die streng christlichen und königliebenden Menschen, denn der König gilt ansonsten als unnahbar für seine Untertanen. Den König direkt ansprechen darf dabei aber niemand-bis auf den offiziellen Sprecher der Siedlung. Und der hütet sich, provokante Forderungen beim Monarchen vorzubringen. Das Protokoll verbietet es. Und die Angst, das Müll-Privileg zu verlieren und damit die wirtschaftliche Lebensgrundlage. König Taufa`ahau Tupou IV dagegen habe ein Privatvermögen von 350 Millionen US-Dollar, wie es in einem versehentlich an die Öffentlichkeit gelangten und niemals dementierten offiziellen Dokument heißt, das in zwei örtlichen Zeitungen zitiert wurde. Der Königspalast liegt nur drei Kilometer von der Müllkippe entfernt. Ob der Monarch jemals gesehen hat oder sehen wollte, unter welch unwürdigen Bedingungen einige seiner ärmsten Untertanen leben müssen?

Haus auf der Müllkippe


Als Vorbild für seine Majestät gilt der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck, den Tupou IV als den größten Politiker aller Zeiten verehrt. Bismarck ist aber bis heute vor allem durch seine Sozialreformen zugunsten der Armen und Unterprivilegierten im beginnenden Industriezeitalter berühmt. Ob der gewichtigste König aller Zeiten diesen Aspekt seines großen Vorbildes erkannt hat?

Text und Fotos von Fotojournalist Wolfgang B. Kleiner, Kreppenweg 11, 86356 Steppach/Augsburg, Tel.: 0821/ 48 81 53, wbksteppach@t-online.de; www.wolfgangkleiner.de